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12.3.08

SZ: Dinge, die Enkelkinder wissen sollten

Süddeutsche Zeitung 11.März 2008

Ist das Leben nicht schön? Nein.
Autobiographien von Popmusikern sind eigentlich überflüssig. Nur die von Mark Oliver Everett von den Eels nicht.

Von Alex Rühle

Wer heute Abend in die Münchner Muffathalle geht in Erwartung eines magenstärkenden Eels-Konzerts, sollte sich darauf gefasst machen, dass er erstmal eine einstündige Dokumentation zu sehen bekommt: Mark Oliver Everett, der Sänger, Komponist, Multiinstrumentalist und Frontmann der ansonsten in permanent wechselnder Besetzung auftretenden Eels, hat sich für die BBC auf Spurensuche gemacht nach seinem Vater und dessen Werk.

Hugh Everett III, Quantenphysiker, CIA-Mitarbeiter und Erfinder, entwickelte 1957 die Theorie der Paralleluniversen, die seinerzeit als kompletter Humbug verlacht wurde. Everett senior, wohl ohnehin ein schweigsamer Typ, zog sich daraufhin in ein dunkles Paralleluniversum zurück, er war innerhalb der Familie eine Art schwarzes Loch, das allen die Lebensenergie abzog und stumm um sich selbst kreiste. Mark Oliver Everett fand ihn eines Morgens, da war er selber 19 Jahre alt, tot im Bett, der Vater war in der Nacht an einem Herzinfarkt gestorben.

"Sartre rockt. Aber nicht so wie ich."
Everett erinnert sich noch gut daran, wie er ihn schüttelte, war es doch die erste Berührung zwischen den beiden seit Jahren. "Ich wusste nicht mal, wie ich mich fühlen sollte," schreibt er in seiner Autobiographie. "Mein Vater war gerade gestorben, aber ich hatte keinerlei Beziehung zu ihm. Das Schlimmste war, den Ärzten dabei zusehen zu müssen, wie sie ihn in einen schwarzen Sack steckten, den Reißverschluss zumachten und dann den Sack mit ihm darin heraustrugen. Sie haben ihn nicht auf eine Bahre gelegt. Sie haben einfach diesen schwarzen Sack rausgetragen wie eine Mülltüte."

Kein "oh my god, leider hab ich dann einen Filmriss"
Autobiographien von Rockmusikern, das ist so ziemlich das letzte Genre, was einen vernünftigen Menschen interessiert. Wie wir da bekokst im Kronleuchter hingen, und dann die Tournee die Westküste runter, oh my god, leider hab ich dann einen Filmriss und weiß absolut nicht, was in den Jahren zwischen den beiden großartigen Alben passiert ist. . .

Everetts soeben erschienene Autobiographie "Things The Grandchildren Should Know" (Little, Brown, 228 Seiten, 14,99 Pfund) ist eine Art Gegenprogramm zum Narzissmus des Popgeschäfts. Es ist geschrieben aus der Mitte seines Schmerzes und des familiären Schweigens heraus, als hätten ihm die Stille daheim und seine lebenslange Einsamkeit das Gehör geschärft für alle falschen Töne und Sätze.

Sein Vater wollte, dass man seine Hinterlassenschaften in den Müll wirft, ein Wunsch, dem die Mutter nachkam. Seine Schwester, die er in Kinderjahren abgöttisch geliebt hat, die dann aber in Alkoholexzesse, Drogendelirien und schizophrene Wahnwelten abdriftete, brachte sich um. Seine Mutter starb an Krebs. Die letzte Verwandte, die ihm blieb, seine Cousine, schickte ihm am Morgen des 11. September 2001 eine Postkarte: "Ist das Leben nicht schön?" Eine Stunde später kam sie in dem Flugzeug um, das ins Pentagon gesteuert wurde, Hugh Everetts letzten Arbeitsplatz.

Graben durch den Schmerztunnel
Es wäre untertrieben zu sagen, dass das Leben Mark Oliver Everett mit einem ziemlich rauen Schmirgelpapier bearbeitet hat. Solche Menschen entwickeln oft einen Leidenshochmut, ach, ihr Jammerlappen, was wisst ihr schon von Schicksalsschlägen, schreiten durch ihren Text wie ein Gesalbter und tragen ihr Schicksal vor sich her wie eine Hostie.

Everett ist ein grumpy young man, ein misanthropischer Einzelgänger, aber er findet in seiner merkwürdigen Kindheit, umgeben von spießigen CIA-Familien, plötzlich, überraschend, ebenso betörend schöne Momente wie in der totalen Einsamkeit am Anfang seiner Karriere, jahrelang demütigende Jobs und abends, nachts, an den Wochenenden, das Komponieren, ein manisches Anrennen, ein Graben durch den Schmerztunnel, das ihn als Einziges am Leben hält.

Das Buch endet mit der Beschreibung, wie unangenehm es ihm ist, wenn er beim Arzt das Anmeldeformular ausfüllen muss, weil er nicht weiß, was er eintragen soll in der Spalte Im Notfall zu kontaktieren. "Keine Familie zu haben ist das einsamste Gefühl. Feiertage sind einfach ekelhaft, ich tu immer so, als fänden sie nicht statt. Wenn ich morgen sterben würde, könnte man auf meinen Grabstein schreiben: ,Merkwürdigerweise betitelte Everett, der zum Zeitpunkt seines Todes keine Kinder hatte, ganz zu schweigen von Enkelkindern, seine Autobiographie 'Dinge, die die Enkel wissen sollten.' "

Akustisches Pendant zum Bart
Womit wir endlich bei Everetts Musik wären. "Things The Grandchildren Should Know" ist nicht nur der Titel seiner Autobiographie sondern auch der letzte Song auf seinem großen Album "Blinking Lights", an dem er sieben Jahre gearbeitet hat. Und dieses Album, das ist nun das Wunder an Everett, ist, genau wie seine Autobiographie, am Ende eine Hymne an das Leben, gerade weil sie sich so am Schmerz abarbeiten.

Ja, "Blinking Lights" ist eines dieser Kunstwerke, die wie ein Schlag auf den Kopf wirken, als würden sie einem jäh das ganze Leben von außen zeigen, schau doch endlich hin, bevor es vorbei ist. Oder wie er es in dem Song "Hey Man" mit dieser aggressiven Stimme, die das akustische Pendant ist zu seinem filzig-struwweligen Bart, selbst ausdrückt: "Do you know what it's like to fall on the floor / And cry your guts out 'til you got no more/ Hey man now you're really living."

Man kann dieses Lied jetzt neu hören. Beziehungsweise dabei zuschauen, wie Everett es singt: Parallel zu seiner Autobiographie hat Everett zwei Doppel-CDs herausgebracht, "Meet The Eels". und "Useless Trinkets" (beide bei Geffen erschienen). Das erste ist eine Art Best of Eels, von ihm selbst zusammengestellt, inklusive Video-DVD.

Das zweite, das man mit "Nutzlose Wertlosigkeiten" übersetzen könnte, enthält 50 Auskopplungen, B-Seiten, Neuinterpretationen, Remixes und es zeigt, was für ein fulminant vielseitiger Musiker Everett ist, teils hat er alte Songs alleine nochmal aufgenommen, teils mit Freunden neu interpretiert, und so ziehen die fünf wichtigsten Alben nochmal in komprimierter Form an einem vorüber.

In mehreren parallelen Klanguniversen
Er sagt in seiner Biographie, dass er in theoretischer Hinsicht keinen Schimmer davon habe, was es mit den Paralleluniversen seines Vaters auf sich habe. Rein praktisch aber, das merkt man beim Hören der "Useless Trinkets" nochmal, ist Mark Oliver Everett seit vielen Jahren in mehreren parallelen Klanguniversen unterwegs.

So komponierte er zeitgleich die Stücke des lauten, rockgeschrubbten Albums "Souljacker", der melancholischen "Daisies of the Galaxy" und einige Songs des Gesamtkunstwerks "Blinking Lights". Und warum, so fragt er sich auf der letzten Seite seines Buches, "warum, wenn ich doch so ein ausgesprochener Atheist bin, erwische ich mich immer wieder dabei, wie ich im Hinterhof sitze, in den Nachthimmel schaue und mit Mom, Liz und Dad spreche?"


(SZ vom 11.3.2008/ihe)

3.3.08

Vorsprung durch Kinderkrippe

Süddeutsche Zeitung 3.3.2008: Bildungschancen

Der Besuch einer Krippe erhöht einer Studie zufolge die Bildungschancen eines Kindes deutlich. Etwa der Hälfte der Kinder, die eine Krippe besucht haben, gelingt später der Sprung auf das Gymnasium – von den Kindern ohne Krippenerfahrung schafft dies nur ein Drittel.

Von Felix Berth

Fragt man einen Kinderarzt der älteren Generation, ob er Krippen als Bildungsinstitutionen ansieht, wird die Antwort oft klar ausfallen: nein.

Denn aus Sicht der Mediziner ist die Krippe der Ort, an dem Kinder leicht krank werden: Schnupfen, Husten und Ohrenentzündungen verbreiten sich schnell, wenn Kleinkinder mit Triefnasen zusammentreffen. Außerdem, so die Ansicht älterer Pädiater, brauchen Kleinkinder ihre Mutter ständig, weshalb Fremdbetreuung nur ausnahmsweise akzeptabel sei.

Allerdings, die Einschätzungen wandeln sich. So hält der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte Krippen für sinnvoll, sofern sie genügend qualifiziertes Personal haben. "Im Umgang der Eltern mit ihren Kindern kommt es nicht in erster Linie auf Quantität, sondern auf Qualität an", sagt Verbandspräsident Wolfram Hartmann.

Zwei Stunden mit einer ausgeglichenen Mutter oder einem entspannten Vater seien für ein Kind wertvoller als zwölf Stunden mit einem frustrierten Elternteil. Krippen mit genügend qualifiziertem Personal können nach Hartmanns Einschätzung gerade benachteiligte Kinder unterstützen.

1000 Kinder erfasst

Dass Krippen Bildungsinstitutionen sind, betont auch eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, die an diesem Montag veröffentlicht wird. Demnach gelingt Kindern, die eine Krippe besucht haben, später deutlich häufiger der Sprung aufs Gymnasium als anderen Kindern.

Die Untersuchung, die die Stiftung beim Institut Bass in Bern in Auftrag gegeben hat, erfasst Bildungskarrieren von mehr als tausend repräsentativ ausgewählten Kindern, die zwischen 1990 und 1995 in Deutschland geboren wurden.
Es zeigt sich, dass von den Krippenkindern später genau die Hälfte den Übertritt auf ein Gymnasium schaffte; von den Nicht-Krippenkindern gelang dies nur etwas mehr als einem Drittel.

Noch deutlicher waren die Unterschiede, wenn die Eltern Migranten waren oder einen Hauptschulabschluss hatten. "Bildungschancen von Kindern aus benachteiligten Verhältnissen verbessern sich durch einen Krippenbesuch am stärksten", bilanzieren Anette Stein und Kathrin Bock-Famulla von der Bertelsmann-Stiftung.

Solche Erfolge verwundern angesichts der teilweise katastrophalen Personalschlüssel. Doch nach Bock-Famullas Ansicht können offenbar sogar schlecht ausgestattete Krippen für benachteiligte Kinder ein Gewinn sein.

Außerdem zeige die Statistik, dass manche Bundesländer ausreichend Personal einstellen. "Ich vermute, dass die Bildungserfolge noch größer wären, wenn wirklich alle Krippen mit ausreichend hoch qualifiziertem Personal arbeiten würden", sagt Bock-Famulla.

Die Studie versucht auch, den ökonomischen Nutzen von Krippen zu ermitteln. So liege das spätere Lebenseinkommen eines Gymnasiasten deutlich über dem eines schlechter Ausgebildeten. Steige durch den Krippenausbau die Zahl der Gymnasiasten, entstehe ein volkswirtschaftlicher Nutzen von fast 22.000 Euro pro Krippenkind.

Die Kosten eines Krippenplatzes von etwa 8000 Euro, die überwiegend der Staat trägt, würden dadurch leicht ausgeglichen, argumentiert die Studie. Jeder Euro, der in Kinderkrippen investiert werde, würde sich wegen der Schulerfolge der Kinder für die Volkswirtschaft jährlich mit mehr als sieben Prozent verzinsen.

(SZ vom 3. März 2008)