19.2.08

Apropos... Unternehmen, Sponsoring und Universitäten

Zum Thema des vorangegangenen Postings: Unternehmen, Sponsoring und Universitäten:

Die Erste Bank sponsert der Uni Wien dieses Semester eine Ringvorlesung zum Thema Wirtschaftsethik. Interessanterweise unter Leitung von Peter Kampits.

"Sachliche Ausgewogenheit" versprechen bereits die Vortragenden:

Rektor O.Univ.Prof.Dr. Georg Winckler, Dekan Univ.Prof.Dr. Peter Kampits, Universität Wien, Mag. Andreas Treichl/Generaldirektor Erste Bank
Dr. Ulrich Thielemann, Universität St. Gallen - Institut für Wirtschaftsethik
Prof. Johann Georg Herberstein/Gesellschaft für Zukungsstrategien
Klaus Rosenkranz/CSR Beauftragter Erste Bank
Mag. Boris Marte /Erste Bank und Mag. Dr. Gerhard Ruprecht/Erste Bank
Univ.Prof.Dr. Wolfgang Mazal/Universität Wien, Institut für Arbeit- und Sozialrecht
Dr. Rupert Dollinger /Erste Bank und MSc Gudrun Egger /Erste Bank
Mag. Heinz Bednar /Erste Bank, DI Dr. Hildegard Aichberger MBA/WWF
Prof.Dr.Helga Kromp-Kolb/Universität für Bodenkultur, Wien
Prof.DDr. Matthias Karmasin/Universität Klagenfurt, Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft
Mag. Herbert Meusberger /Erste Bank, Mag. Barbara Milewski/SOS Kinderdorf, Mag. Leon Lenhart/bestpractise
Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Katharina Srnka/Universität Wien, Institut für Betriebswirtschaftslehre

Step by Step

Ein ausgesprochen interessanter Text zur OECD-Bildungsstrategie findet sich hier:
The Political Feasibility of Adjustment (Christian Morrison)


Ein Auszug:
"After this description of risky measures, we can now recommend many measures which cause no political difficulty. To reduce the fiscal deficit, very substantial cuts in public investment or the trimming of operating expenditure involve no political risk. If operating expenditure is trimmed, the quantity of service should not be reduced, even if the quality has to suffer. For example, operating credits for schools or universities may be reduced, but it would be dangerous to restrict the number of students. Families will react violently if children are refused admission, but not to a gradual reduction in the quality of the education given, and the school can progressively and for particular purposes obtain a contribution from the families, or eliminate a given activity. This should be done case by case,in one school but not in the neighbouring establishment, so that any general discontent of the population is avoided."

Übersetzung (Liesner/Lohmann):
„Um das Haushaltsdefizit zu reduzieren, sind sehr substanzielle Einschnitte im Bereich der öffentlichen Investitionen oder die Kürzung der Mittel für laufende Kosten ohne jedes politische Risiko. Wenn Mittel für laufende Kosten gekürzt werden, dann sollte die Quantität der Dienstleistung nicht reduziert werden, auch wenn die Qualität darunter leidet. Beispielsweise lassen sich Haushaltsmittel für Schulen und Universitäten kürzen, aber es wäre gefährlich, die Zahl der Studierenden zu beschränken. Familien reagieren gewaltsam, wenn ihren Kindern der Zugang verweigert wird, aber nicht auf eine allmähliche Absenkung der Qualität der dargebotenen Bildung, und so kann die Schule immer mehr dazu übergehen, für bestimmte Zwecke von den Familien Eigenbeiträge zu verlangen, oder bestimmte Tätigkeiten ganz einstellen. Dabei sollte nur nach und nach so vorgegangen werden, z.B. in einer Schule, aber nicht in der benachbarten Einrichtung, um jede allgemeine Unzufriedenheit der Bevölkerung zu vermeiden“

16.2.08

That's life...

15.2.08

Ungewollte Gerechtigkeit

Ungewollte Gerechtigkeit: Eine fulminante Streitschrift gegen das Bildungsprivileg

Über das Buch "Das Bildungsprivileg. Warum Chancengleichheit unerwünscht ist" von Bruno Preisendörfer

Auch in den jüngsten Wahlkämpfen fehlte es nicht an Warnungen vor der Einheitsschule. In Niedersachsen fanden Eltern und Lehrer zu einem Aktionsbündnis "Gegliedertes Schulsystem" zusammen. Jüngere Mitglieder des Philologenverbandes, der die Interessen der Gymnasiallehrer vertritt, sprachen von einer "Richtungswahl" und schürten die Furcht vor der "Zwangs-Einheitsschule, an denen (!liebe Philologen!) alle Schülerinnen und Schüler - anders als an den Schulen heute - unabhängig von ihrer Leistungsfähigkeit zusammen lernen sollen". Eine hessische Bürgerinitiative möchte "die Interessen der Eltern vertreten, die sich nicht dem Diktat einer ideologisch geprägten Gleichmacherei unterwerfen wollen".

Man hört es und nickt, ohne lange nachzudenken: alle Wege der Gesamtschule führen bekanntlich nach Moskau. Wer gegen die frühe Selektion der Kinder auftritt, handelt allein aus sachfremden, ideologischen Motiven, ist obendrein ein Feind der Leistung. Wer Freiheit und Gerechtigkeit schätzt, die "Wahlfreiheit der Eltern" und ein "begabungsgerecht" gegliedertes Schulsystem, muss der nicht den Befürwortern der Einheitsschule in den Arm fallen?

Glücklicherweise kommt in dieser Woche eine Streitschrift in die Buchläden, die mit der selbstgerechten Ideologie der Ideologiefreien ironisch, sachkundig und wütend zugleich abrechnet: "Das Bildungsprivileg. Warum Chancengleichheit unerwünscht ist" von Bruno Preisendörfer (Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2008. 192 Seiten, 16,95 Euro).

Die Fakten sind bekannt und werden kaum bestritten: Der Bildungsforscher Jürgen Baumert stellte im Dezember 2001 fest: "Die Chancen eines Arbeiterkindes, anstelle der Realschule ein Gymnasium zu besuchen, sind viermal geringer als die eines Kindes aus der Oberschicht." Vierfach würden, so Jochen Schweitzer, der die Kultusministerkonferenz in den PISA-Gremien vertrat, Schüler aus unteren Sozialschichten bestraft: zunächst durch ihrer Herkunft, dann durch die "ungerechte Selektion am Ende der Grundschule", dann durch die schlechten Bedingungen an den Hauptschulen und dann - lebenlänglich, kann man hinzufügen - "durch die geringsten Chancen auf dem Arbeitsmarkt".

Die armen, armen Praktikanten

Die Öffentlichkeit leidet in Bildungsangelegenheiten unter beträchtlichen Wahrnehmungsverzerrungen. Was haben wir nicht das düstere Schicksal der plötzlich benachteiligten Akademiker beklagt, als die "Generation Praktikum" auftrat. Doch absolvieren, einer Studie des Hochschul-Informations-Systems zufolge, lediglich acht Prozent der Fachhochschul- und sieben Prozent der Uni-Absolventen nach dem Studium ein Praktikum. Und selbst diese fanden rasch eine Arbeit: Neun Monate nach dem Ende des ersten Praktikums waren noch vier Prozent der Praktikanten mit Universitätsabschluss ohne Stelle. "Das ist bedauerlich", kommentiert Preisendörfer, "aber eine Katastrophe, die eine ganze akademische Generation ins Abseits stellt, kann man das nicht nennen."

Dass die Sorgen dieser kleinen, trotz allem privilegierten Gruppe so viel Mitgefühl weckten, hat mehr als zufällige Gründe. Sie sind Fleisch vom Fleische derer, die im Land den Ton angeben, der Journalisten, Politiker, Podiumsdiskussionsteilnehmer. Die "Bildungsfernen" dagegen sind eine recht stille Gruppe. Wenn über sie gesprochen wird, dann meist in Form von Zerrbildern, die sich etwa so zusammenfassen lassen: "Statt den disziplinierten Hedonismus der Mittelschichten nachzuleben, sitzen sie, mit Staatsknete alimentiert, den lieben langen Tag im Jogginganzug auf der Couch und verfetten beim Unterschichtfernsehen, während ihre Bälger mit Ballerspielen den Amoklauf trainieren, bei dem sie unsere fleißigen und wohlerzogenen Kinder totschießen." Die Mehrzahl freilich lebt nicht nach diesen radikalen Klischees, sondern in einer Gewöhnlichkeit, die selten beschrieben wird, weil sie so unaufregend scheint, sich nur schwer skandalisieren lässt. Es geht um die Kinder der "normalen" Familien - er Lokführer, sie Kassiererin.

In deren Namen spricht und schreibt Preisendörfer. Der Berliner Schriftsteller weiß, wovon er redet. 1957 als katholisches Arbeiterkind auf dem Land geboren, hat er den Weg aus der Bildungsferne selbst zurückgelegt. So verschweigt er - gegen die Tradition der Sonntagsreden - eine entscheidende Seite der Bildung nicht: ihre entwurzelnde. Ein Kind aus nicht-akademischem Haushalt opfert, wenn es sich anschickt, die Gipfel der Bildung zu erklimmen, seiner Zukunft die Herkunft, entfremdet sich mit jedem Schritt von der Familie, von seinem Milieu. Ein Akademikerkind hingegen verbleibt im vertrauten Umfeld. Vieles von dem, was wir Begabung nennen, erweist sich bei näherem Hinsehen als Effekt dieses Vertrautheitsvorschusses.

Der Krabbeneimer-Effekt

Geschickt spiegelt Preisendörfer seinen eigenen Bildungsgang in der langen Diskussion um das deutsche Schulsystem. So scharf er die Benachteiligung der Unterschichtkinder anprangert, so treu bleibt er der gut bürgerlichen Idee von Bildung. Sie ist in den vergangenen Jahren kaum inniger verherrlicht worden als hier: mit ihrem Versprechen von Aufstieg, Freiheit, Selbstbestimmung. Vermieden wird der proletkultartige Kurzschluss, man müsse den Kanon des Wahren, Guten und Schönen als Herrschaftsinstrument entlarven und zertrümmern. Aber es ist Verrat an der Idee der Bildung, wenn die Schulen Diskriminierung nicht nur nicht mildern, sondern verschärfen und überhaupt erst hervorbringen. Verantwortlich dafür ist zum einen das schlichte, materielle Interesse der Funktionseliten, ihre Kinder vor Konkurrenz zu schützen. Nur wenn es opportun ist, der Markt es zu fordern scheint, sprechen sie von der "Erschließung der Begabungsreserven".

Preisendörfer nennt diese Redensarten mit Recht "klassistisch" - in Analogie zu "sexistisch". Wer sagte, man müsse die "Selbständigkeitsreserven" junger Frauen erschließen, würde schließlich als dumm oder bösartig gelten. Ebenso scharf werden hier zum anderen die "Selbstblockaden" der unteren Schichten attackiert: der "Krabbeneimereffekt": "Jede Krabbe, die an der Innenwand des Eimers nach oben klettert, und das passiert dauernd, wird von den anderen sofort wieder zurückgeholt". Man braucht bereits Bildung, um die Bildungsblockade zu überwinden.

Es nimmt für diese Streitschrift ein, dass sie das moralische Dilemma der Mittelschichtseltern als ein substantielles anerkennt. Selbstverständlich suchen diese die besten Schulen für ihre Kinder, damit diese nicht auf dem eigenen Rücken die Schwächen des Systems austragen müssen. Dabei entdecken sie gar nicht so selten ihre Liebe zur Egalität. Sehr gefragt sind (private) Anstalten wahrhafter Gleichheit, auf denen alle Kinder aus einem Milieu stammen.

Ein Skandal ist, dass der Staat die Privilegien schützt und verstärkt: Etwa durch das Elterngeld, das abhängig vom Nettoeinkommen gezahlt wird. Etwa durch die Verteidigung des gegliederten Schulsystems. Preisendörfer erspart dem Leser zum Glück einen Maßnahmenkatalog. Er hofft auf eine Bildungsbewegung nach dem Vorbild der Frauenbewegung, jenem Musterfall der Selbstbefreiung. Manche halten ein paar Euro mehr auf dem Konto alter Arbeitsloser schon für einen Linksruck. Wer dieses wichtige Buch liest, wird sich wehmütig daran erinnern, dass - was hier gefordert wird - einmal sozialdemokratisches Programm war, damals, als die SPD noch die stärkste Partei Europas war.

Autor: JENS BISKY

Gestatten, Elite

Wenn Zweijährige Marketing lernen: Julia wollte wissen, was Elite ist

peter-wagner

Ein Jahr lang besuchte Julia Friedrichs, 28, sogenannte Eliteschmieden. Sie fragte sich, was Elite eigentlich ist. Heute sagt sie: An Elite-Schulen werden Menschen dem normalen Leben entzogen. Ein Interview über einen vielgebrauchten Begriff und darüber, was er mit Angst zu tun hat.

Du hast dich vor drei Jahren bei McKinsey beworben und einen Text über das dortige Auswahlverfahren geschrieben. War das der Ausgangspunkt zur Recherche für dein Buch*?
Genau. McKinsey hat damals den Begriff "Elite" so propagiert: "Wir formen Eliten, wir machen Eliten. Wer bei uns ist, der ist Elite." Da dachte ich: Uh, was soll das heißen?

Am Ende deiner Bewerbung lag sogar ein Vertrag vor dir. Hast du überlegt, zu unterschreiben?
Ich hatte ein, zwei Wochen gezögert – die Verlockung war plötzlich so groß. Es hat mich selbst erschreckt, wie sehr es mich gekickt hat, das Verfahren geschafft zu haben. Und als ich dann den Vertrag in der Hand hatte, der soviel Geld bedeutet hätte …

Wieviel wäre das gewesen?
67.000 Euro im ersten Jahr plus Auto … aber letztendlich war meine Skepsis größer.

Aber du hast diesen Moment erlebt, in dem man das Gefühl hat, zu einem erlesenen Kreis zu gehören.
Auf jeden Fall.

Ist dieses Gefühl ein Motiv, zu einer Elite gehören zu wollen?
Es ist mehr. Die Studenten an den Elite-Unis antworteten auf meine Frage, ob sie Angst hätten, arbeitslos zu werden kategorisch mit „Nein“. Wenn man Elite wird, ist man viele Sorgen los.

Welche Unis hast du für deine Recherche besucht?
Ich war vor allem an der European Business School (EBS) in Oestrich-Winkel – dort habe ich einen Studenten über ein Jahr hinweg immer wieder getroffen. Dann war ich an der Bucerius Law School in Hamburg, an der WHU in Vallendar und dann habe ich noch Studenten der Bayerischen Eliteakademie getroffen.

Wo hast du selbst studiert?
In Dortmund.

Was ist der Unterschied zwischen den Unis?
An den privaten Wirtschaftsunis studieren nur 25 bis 30 Prozent Mädels - die kommende Wirtschaftselite scheint eine männliche zu sein. Und mir ist aufgefallen, dass alles nach wem heißt. Das neueste Gebäude an der EBS heißt Kiep-Center nach Walther Leisler Kiep. Der Eingangsbereich heißt nach einer Möbelfirma, die Hörsäle heißen „Deutsche Bank“-Hörsaal oder Daimler-Chrysler-Raum.

Vielleicht schwer, aber: Kannst du „Elite“ definieren?
„Elite“ ist für viele ein Label, sich selbst zu pushen. Der Begriff wird unscharf benutzt. Jeder benutzt ihn, wie er ihn braucht. An den Internaten, wo Noten keine Rolle spielen, wird gesagt: Wir sind eine Verantwortungselite. An den Wirtschaftsunis wird gesagt: Wir sind eine Leistungselite. Mein Eindruck aber war, dass dort die Geldelite eine wichtige Rolle spielt. Deshalb halte ich den Begriff heute für eine gesellschaftliche Debatte für unbrauchbar. Wenn mich jemand fragt, ob wir Eliten brauchen, könnte ich nicht sagen: Ja oder Nein.

Ist nur der Begriff ein Problem? Oder ist es ein Problem, dass es prinzipiell Bereiche gibt, in die sich „Geldeliten“ oder „Leistungseliten“ zurückziehen können?
Die private Bildungskarriere beginnt heute mit zwei Jahren. Eltern kaufen sich Kindergärten für 1.000 Euro im Monat und dann geht das so weiter bis zum Ende des Studiums. Diese Entwicklung halte ich für falsch. Weil ich das Gefühl habe, dass diese Kinder aus dem normalen Leben rausgezogen werden und mit allem, was normal ist, wenig zu tun haben.

Ist das ein Kennzeichen von Elite?
Ja. Allein die Orte sind sehr exklusiv. Dadurch wird ja schon eine Botschaft gesendet: Hier ist etwas Erlesenes. Und Elite funktioniert, indem man ein paar Leute nimmt und ihnen sagt, sie seien Elite. Die Studenten der Bayerischen Eliteakademie, die ich als sehr nachdenklich erlebt habe, die hatten deshalb ein Riesenproblem mit dem Begriff Elite. Weil die immer gesagt haben: Wir sind gute Studenten, wir strengen uns an. Aber von uns gibt es noch soviel mehr!

Warum ist der Begriff so populär geworden? Es scheint mir, als würde der Begriff wie ein Werkzeug eingesetzt, mit dem man diverse Probleme, zum Beispiel in der Bildung, kurieren kann.
Tja, am Ende dachte ich, ich hätte Mitleid mit dem Wort. Weil es eines der am meisten instrumentalisierten Wörter in der aktuellen Diskussion ist. Man will zum einen die deutsche Hinterherhink-Angst bekämpfen. Zum anderen benutzen es vor allem die privaten Bildungseinrichtungen, um sich selbst aufzuwerten. Es ist schicker zu sagen, dass hier Elite erzogen wird. Das klingt besser als "Wir sind für Kinder wohlhabender Eltern eine gute Schule oder Uni".

Welche Erlebnisse hast du aus dem einen Jahr Recherche mitgebracht?
Ich war zum Beispiel in einem privaten Kindergarten und habe dort eine Hausführung bekommen. Mir wurde dann auch der Keller gezeigt: Da war eine komplette Wellnesslandschaft mit Sauna und Physiotherapie – weil die auch schon oft Rückenschmerzen hätten. Das war wie ein Vorgriff auf das Managerleben. Hochgradig absurd.


Kann es sein, dass wir das Elite-Wesen erst in den vergangenen 10, 15 Jahren gelernt haben?

Gerhard Schröder hat 1998 gleich in seiner ersten Regierungserklärung gesagt: Jetzt brauchen wir wieder Eliten! So hat der natürliche Gegner der Eliten, die Sozialdemokratie das Okay gegeben. Das hat einen Umschwung gegeben, glaube ich. Und dass so viele Einrichtungen sich so offen als Elite bezeichnen, das hätte es vor ein paar Jahren nicht gegeben.

Gibt es eine Verschärfung der Bildungsbedingungen? Dass der Mensch, naja, nutzbarer gemacht werden soll?
Das hat sich durch meine Recherchen gezogen: Wissen soll immer direkt verwertbar sein. Das ist schon bei Zweijährigen zu beobachten, deren Eltern über Englisch und Chinesisch nachdenken, weil sie die Sprache für nutzbar halten. Und nicht, weil sie sie schön finden. Es geht um bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Und, noch ein Beispiel: Wir waren in einer Kleinkindschule für "ab 2-Jährige" - da lernen die Kinder Marketing!

Wirklich? Mit zwei Jahren?
Sie müssen ein Spielzeugmonster entwerfen unter dem Gesichtspunkt: Wie soll das Monster aussehen, damit es die meisten Kinder kaufen? Und die sind zwei, die Kinder!

Das klingt nach einer Perversion des Frühförder-Gedankens.
Aber auch diese Kleinkindschule erfreut sich einer großen Nachfrage. Die Eltern wollen das. Bei den Kleinkindern waren das vor allem obere Mittelschicht-Eltern, die einfach eine Höllenangst haben, dass ihr Kind scheitert oder arbeitslos wird. Die denken: Wenn er mit zwei Jahren schon soviel kann, dann kann er schon nicht scheitern. Da ist "Elite" wie eine Versicherung.

Derzeit gibt es so viele Privatschulen wie noch nie. Der Anteil an den allgemeinbildenden Schulen ist auf 7,5 Prozent gewachsen. Haben diese Schulen wegen der Angst der Eltern soviel Zulauf?
Das streben die Eltern an: Meinem Kind sollen die ganzen Sorgen erspart werden. Deshalb findet zwischen den Eltern der Kleinkinder schon ein Wettrüsten statt. Powerpointkurse für Vierjährige zum Beispiel – alles im Angebot.

+++

*Gestatten, Elite. Auf den Spuren der Mächtigen von morgen von Julia Friedrichs ist bei Hoffmann und Campe erschienen und kostet 17,95 Euro.

Geomarketing: Die Merkels von nebenan

Die Merkels von nebenan

Noch nie wussten Werbestrategen so viel über uns wie heute. Von jedem Haushalt kennen sie Bierkonsum, Arthroserisiko und Zahlungsmoral. »Geomarketing« verknüpft diese Daten nun mit digitalen Landkarten. Auf einen Blick ist zu sehen, wer wo was kauft. Was wissen die Datensammler über die Kanzlerin und ihre Nachbarn?

Von Max Rauner

Max Rauner ist für diesen Artikel mit dem Acatech-Preis für Technik-Journalisten 2007 in der Sparte "Magazin/Zeitschrift" ausgezeichnet worden (Anm. d. Red.)

Es ist kein Geheimnis: Angela Merkel wohnt mit ihrem Mann Joachim Sauer gegenüber dem Pergamon-Museum, im vierten Stock eines gelb gestrichenen Mietshauses, Am Kupfergraben 6, 10117 Berlin. Steht alles online, mit einem Foto von der Haustür, einfach »Kupfergraben« und »Merkel« googeln.

Seit Google Earth das Herumfliegen in Satellitenfotos erlaubt, kann man der Bundeskanzlerin auch aufs Dach schauen. Eine Überwachungskamera des Pergamon-Museums spähte unlängst versehentlich durch die Fenster der Merkel-Sauer-Wohnung.

Wer wirklich hinter die Fassade des Kanzlerin-Hauses blicken möchte, der begibt sich am besten in den Westen Deutschlands, nach Bonn-Bad Godesberg. Hier hat die Firma infas Geodaten in der ehemaligen Residenz des indischen Botschafters Quartier bezogen. Geschäftsführer Michael Herter, ein rheinländischer Jungunternehmer mit New-Economy-Erfahrung und amerikanischem Optimismus, hat im Konferenzsaal seinen Laptop samt Beamer aufgebaut. Auf Wunsch tippt er die Adresse von Frau Merkel ein.

An der Wand erscheint ein Stadtplanausschnitt von Berlin-Mitte mit der Straße der Bundeskanzlerin. Über dieses Haus weiß Herters Computer eine Menge: vor 1900 gebaut, sechs Haushalte, Bauweise befriedigend, kein Garten vorhanden, keine Ausländer, Affinität für Kundenkarten: mittel, Affinität für private Krankenversicherung: mittel, Bewohner: desinteressierter Finanztyp, klassische Festnetznutzer, kaum Internet-Poweruser, dominierendes Alter: 51 bis 60 Jahre, Diabetes und Arthrose überdurchschnittlich, Fitness unterdurchschnittlich, viel Audi, Mercedes und BMW, wenig Volkswagen.

Deutschland intim im Jahr 2006. Es geht nicht um die Bundeskanzlerin, es geht um uns alle. Für 19 Millionen Gebäude in Deutschland - das sind fast alle Wohnhäuser - kann Michael Herter Dutzende von Daten abrufen, vom Nettoeinkommen der Bewohner über häufige Volkskrankheiten bis zur Kaufkraft. Wer will das wissen? Zum Beispiel E-Plus, die Postbank, AOL, T-Mobile, Rossmann, Vorwerk, Arcor, der ADAC, Novartis, E.on. Ihnen verkauft infas Geodaten Landkarten, auf denen die anonymisierten Konsum- und Milieudaten der Deutschen detailgenau eingezeichnet sind. Eine Topografie des Konsums.

Es ist der Albtraum der Datenschützer und der Traum von Marketing- und Werbestrategen. Umfangreiche Datenbanken mit Kundeninformationen gibt es zwar schon länger, sie füllen die Festplatten von Adresshändlern, Behörden, Banken und Versicherungen. Nun jedoch kommt eine neue Dimension ins Spiel: die Verknüpfung der Daten mit digitalen Stadtplänen und Landkarten, in die man hineinzoomen kann wie der Spanner mit dem Fernglas in einen FKK-Strand. »Geomarketing« nennt sich das, wenn abstrakte Zahlenkolonnen zu begehbaren Kundenlandschaften werden.

Michael Herter kommt richtig in Fahrt, wenn er von den Möglichkeiten der Konsumkarten schwärmt - »wir denken geo«, ruft er, »die anderen denken in Tabellen.« Er hält inne, als würde er auf das Echo von der Stuckdecke warten. »Das ist bei uns extrem missionarisch«, sagt er schließlich, »die wenigsten haben es begriffen.«

Auf Herters Landkarten erkennen Unternehmen auf einen Blick, in welchen Straßen die Leute BMW fahren, wo die jungen Familien wohnen, in welcher Straße eine Lidl-Filiale besser laufen würde als ein Edeka-Geschäft. Auch die Nettoeinkommen und das Konsumverhalten der Haushalte sind statistisch erfasst.

Am Kupfergraben sollte man zum Beispiel kein Sportgeschäft eröffnen, denn für Sportbekleidung, das weiß die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) in Nürnberg, geben Frau Merkel und ihre Nachbarn im Durchschnitt nur 10 Euro im Jahr aus, fast 40 Prozent weniger als im Bundesdurchschnitt. Pflanzen für Haus und Garten (132 Euro) sowie Baumarktartikel (474 Euro) finden im Merkel-Viertel ebenso unterdurchschnittlichen Absatz.

Ganz anders auf dem Land, etwa im pfälzischen Dorf Steinfeld, der Heimat von Kurt Beck. So sehr sich der neue SPD-Chef und die Bundeskanzlerin in ihren politischen Ansichten unterscheiden, so unterschiedlich sind auch ihre statistisch ermittelten Konsumentenseelen.

Beck und Nachbarn kaufen im Mittel für 602 Euro pro Anwohner und Jahr im Baumarkt ein, sie geben 172 Euro für Pflanzen aus, und die Traditionsmetzgerei Katus darf sich über eine hohe Nachfrage nach Fleisch- und Wurstwaren freuen (334 Euro pro Einwohner im Jahr, 10 Prozent über dem Durchschnitt). Pfälzer Leberwurst weist die GfK in ihren Statistiken noch nicht gesondert aus, aber selbst deren Verbrauch zu ermitteln wäre wohl kein Problem.

Auch die Kreditwürdigkeit der Deutschen ist auf Straßenplänen erfasst. Wenn Kurt Beck und seine Nachbarn in Online-Shops oder im Versandhandel bestellen, kann man sie ohne Bedenken auf Rechnung beliefern, die Zahlungsmoral der Steinfelder ist - typisch Land - sehr gut. In der nächsten Kleinstadt Bad Bergzabern, wo Becks Frau Rosi als Friseurin arbeitet, steigt das Risiko für Zahlungsausfall in einigen Vierteln stark an. Und in Berlin wimmelt es nur so von Zahlungsmuffeln und Schuldnern, auch im Merkel-Viertel (siehe Karte auf Seite 40).

Woher wissen die das? Aus einem Puzzle von Hausbegehungen, Umfragen, Versandhandel- und Schuldnerinformationen, aus Datenschnipseln von Adresshändlern, Behörden und Unternehmen. Der Rest ist Statistik. »Es gibt endlos Daten in großen Unternehmen, die danach schreien, aufbereitet zu werden«, sagt Herter, »fast jede Information hat einen Raumbezug.«

Man dürfe das aber auf keinen Fall missverstehen. Die Einträge für Kupfergraben 6, das seien keine Daten über Frau Merkel und ihren Mann, »was personenbezogen ist, machen wir nicht«. Datenschutz. Viele Informationen werden von Behörden und Unternehmen zwar personenbezogen gesammelt, aber die Adresshändler bilden dann zur Anonymisierung den Mittelwert über mindestens fünf Haushalte. Erst diese Werte werden dann wieder auf eine Adresse bezogen. Sie beschreiben eine statistische Angela Merkel, nicht die wahre Person.

Neben Herter sitzt Eckhard Georgi, der Marketingchef. Er sagt: »Wir beschreiben Koordinaten, keine Menschen.«

Für den Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar ist genau das ein Problem: »Wer am falschen Ort wohnt, der wird pauschal beurteilt und bekommt unter Umständen keinen Kredit gewährt oder zu schlechteren Konditionen.« Bei diesem so genannten Geo-Scoring könne der Einzelne nur begrenzt zu seinem Bild beitragen, etwa durch Verlagerung seines Wohnorts. »Das ist gesellschaftspolitisch höchst fragwürdig.« Es drohe soziale Ausgrenzung. Schaar drängt auf neue Regeln, um das zu verhindern.

Wo es kritisch wird, zeigte vor zwei Jahren ein elektronisches Deutschland-Telefonbuch der Firma Klicktel. Dort waren nicht nur Adressen und Telefonnummern abrufbar, für jede Person wurden auch Kaufkraft und Zahlungsmoral angezeigt. Klicktel hatte die Daten über infas Geodaten bekommen. Zwar nur wieder Mittelwerte für mindestens fünf Haushalte, aber die Präsentation suggerierte etwas anderes. Klicktel wurde abgemahnt und nahm die CD vom Markt.

Heute passe man besser auf, was die Kunden mit den Daten anstellten, sagt Michael Herter. Er sei allerdings weiterhin »ein Freund davon, dass Informationen bis zu einer bestimmten Ebene zugänglich sind«.

Es gibt ohnehin kein Entkommen. Geomarketing ist längst Realität, immer mehr Unternehmen und Behörden setzen auf die raumbezogene Kundenanalyse:

- Der Mobilfunker E-Plus spricht mit seiner Marke Ay Yildiz (»Halbmond und Stern«) die Türken in Deutschland an. Das Unternehmen nutzt Geomarketing-Software, um die Landkarte in Gebiete einzuteilen, in denen jeweils gleich viele Türken wohnen. Mit diesen Karten werden Vertriebsregionen geplant. Aus Geomarketing wird hier Ethnomarketing.

- Wer im Online-Buchladen einkauft, darf theoretisch meist per Bankeinzug, Rechnung oder Kreditkarte bezahlen. Wenn es an der virtuellen Kasse heißt: »In diesem Fall ist Zahlen auf Rechnung nicht möglich«, sind wahrscheinlich zu viele Nachbarn verschuldet oder zahlen ihre Rechnungen nicht. Manche Call-Center analysieren angeblich mit ähnlicher Profilbildung die Telefonnummern, damit Anrufer aus besser situierten Straßen in der Warteschleife nach vorn gelangen.

- Die Allgemeine Ortskrankenkasse AOK experimentiert seit ein paar Monaten mit Geodaten, um die Qualität von Krankenhäusern zu beurteilen und ihre Versicherten zu beraten. Muss ein AOK-Patient am Herzen operiert werden, können die Geschäftsstellen auf einen Blick sehen, in welchem Krankenhaus die Ärzte viel Erfahrung mit dieser OP haben. Auch die Verschreibungspraxis der Ärzte kann man bald räumlich darstellen.

- Wenn McDonald's eine neue Filiale plant, wählen Expansionsmanager ein Gebiet mit 30 Kilometer Radius aus. Auf dem digitalen Stadtplan erscheinen dann unter anderem Kaufkraft und Altersverteilung der Anwohner. So sehen die Manager, ob und wo sich eine neue Filiale rechnen könnte. Drogeriemärkte und zahlreiche Handelsketten gehen inzwischen ähnlich vor.

- Mehr als 90 Prozent aller Haushalte in Deutschland erhalten unadressierte Prospekte, hinzu kamen im vergangenen Jahr 1,7 Milliarden adressierte Werbebriefe. Mit Hilfe von Geodaten versuchen die Firmen, ihre Werbung zielgenau zu platzieren. In Hamburger Schnösel-Straßen landet Werbung für Designerbrillen, Hochhäuser in Berlin-Moabit werden mit Schnäppchen-Werbung versorgt. Auch die Werbeverweigerer sind auf Karten erfasst.

Wir können heute vor die Haustür treten und dem Glauben anhängen, in einem heimeligen Stadtviertelbiotop mit gewachsenen Strukturen zu leben. Für den türkischen Gemüsehändler an der Ecke mag das noch stimmen. Ansonsten aber ist die Annahme realistischer, dass hier wenig dem Zufall überlassen bleibt.

Das Küchengeschäft um die Ecke - hat von der GfK die Küchenkaufkraft im Viertel analysieren lassen. Die Direktbank-Werbung heute Morgen im Briefkasten - hat uns als konsumfreudigen Online-Haushalt der bürgerlichen Mitte identifiziert. Der Hals-Nasen-Ohren-Arzt gegenüber - bekam seine Standortanalyse von der Geosoftware der kassenärztlichen Vereinigung. Die neuen Nachbarn - haben sich auf das Geoinformationssystem ihres Maklers verlassen.

Das Leben ist eine Truman-Show. Wundern Sie sich nicht, wenn im Haus nebenan ein Geschäft für Ihre Lieblingsmarmelade eröffnet.

Geomarketing funktioniert, weil der Mensch ein soziales Wesen ist. »Unser Leitprinzip lautet: ›Gleich und Gleich gesellt sich gern‹«, sagt Egbert Lohse von der GfK, Abteilung Regionalforschung. Menschen mit ähnlichem Lebensstil, Bildungsstand, Lebensziel und Alter finden sich. Akademiker wohnen im Univiertel, Künstler auf dem Kiez, vermögende Familien im Speckgürtel der Großstadt, Rentner neben Rentnern, Arbeiter neben Arbeitern, Türken neben Türken.

Selbst wer sich für individuell, unangepasst und ausgefallen hält, braucht nur mal bei den Nachbarn zu klingeln. Die halten sich sicher für ebenso ausgefallen, aber wahrscheinlich kauft das ganze Haus bei Manufactum ein.

Es reicht also, wenn die Datensammler in einer Nachbarschaft über ein paar Personen etwas genauer Bescheid wissen, zum Beispiel, weil der Nachbar an einer Befragung der GfK teilgenommen hat.

Als Egbert Lohse im vergangenen Jahr zur GfK kam und in Nürnberg eine Wohnung suchte, hätte er durch die Straßen flanieren, Cafés besuchen und Stadtviertel beschnuppern können. Stattdessen ging er ins Internet. Unter www.martviewer.com hat die GfK einen rudimentären Konsumatlas für Nürnberg und Fürth ins Netz gestellt. Nach ein paar Klicks kannte Lohse das Umfeld der annoncierten Wohnungen. Er suchte junge Nachbarn, keine Familien, keine Rentner. Eine Wohnung in der Maxfeldstraße passte ins Profil.

Über Lohses neue Nachbarn verrät die Demo-Software heute: 25 Haushalte, 21 Männer, 18 Frauen, 4 Ausländerhaushalte, 16 Singles; 8 Nachbarn sind unter 30, die Kaufkraft liegt 9 Prozent über Bundesdurchschnitt, 6 Nachbarhaushalte verfügen über 2600 bis 4000 Euro, 4 liegen noch darüber.

Wenn Lohse auf einer Party erklären soll, was Geomarketing ist, sagt er: So etwas wie Google Earth. Er liebt es, mit Google Earth über die Erde zu fliegen. Im Geomarketing heißen die Programme Martviewer, MapInfo und Marktanalyst. Marketingmenschen, die einmal darin herumgeklickt haben, werden süchtig.

Die GfK kann für jeden Straßenabschnitt in Deutschland einen Kaufkraft-Spiegel erstellen, und zwar für 61 Sortimente von Autozubehör über Backwaren und Damenoberbekleidung bis zur Tiernahrung. Wer mehrere 10 000 Euro bezahlt, bekommt die Daten für die gesamte Republik.

Es gehe nicht um den gläsernen Bürger, sagt Egbert Lohse, im Gegenteil: Der Verbraucher profitiere vom Geomarketing. Je genauer der Handel die Kunden kenne, umso gezielter lasse sich Werbung adressieren. »Keiner möchte mit Werbung überhäuft werden.«

Die persönlichsten Daten geben viele Menschen offenbar freiwillig und gerne preis, vom Einkommen bis hin zum Urlaubsziel. Die GfK erfasst in ihrem »ConsumerScan« regelmäßig alle Lebensmitteleinkäufe von 20 000 privaten Haushalten und erhebt die Einkäufe im Non-Food-Bereich durch repräsentative Umfragen. Statistiker rechnen dann auf ganz Deutschland hoch, ähnlich wie Wahlforscher.

Infas Geodaten nutzt die Daten des Schober-Konzerns, der jedes Jahr rund 600 000 so genannte Lifestyle-Fragebögen mit mehr als 120 Fragen auswertet. Wer mitmacht, kann eine Digitalkamera gewinnen. Das Unternehmen hütet 50 Millionen Privatadressen mit Detailangaben.

Wer nicht mitmacht, gelangt auf anderen Wegen in die Kartei, zum Beispiel über Bestellungen beim Otto-Versand, einem Partner von Schober - oder dank des Gleich-zu-Gleich-Prinzips des Geomarketings. Und dann sind da noch die Hausbegehungen: Im Auftrag von infas Geodaten wandert geschultes Personal durch die Städte und Dörfer von Flensburg bis Konstanz. Die Hausbegeher dürfen nicht in die Häuser, stehen aber davor und bewerten den Zustand, machen Kreuzchen bei Garten, Villa, Bungalow, Bürohaus und so weiter. Fast alle Gebäude Deutschlands hat infas Geodaten klassifiziert. Lauter kleine Teile im Konsumentenpuzzle.

Der Adresshändler Microm hat sich für den »effektiven Kundenfang« (Prospekt) einen ganz besonderen Trick ausgedacht. Jede Adresse in Deutschland ordnet das Unternehmen einer sozialen Schicht zu, den zehn so genannten Sinus-Milieus. Repräsentative Umfragen unter mehr als 30 000 Deutschen bilden die Basis, hinzu kommen wiederum Kaufkraftdaten und die Bewertung von Wohnvierteln. Der Microm-Partner und Kartenspezialist DDS aus Karlsruhe macht daraus bunte Milieukarten.

Am Kupfergraben verortet Microm vor allem Postmaterielle (siehe Seite 39), Kurt Beck dagegen ist in Steinfeld von Konsum-Materialisten umzingelt, so heißt im Sinus-Deutsch die materialistisch geprägte Unterschicht. Microm informiert auch über die Zahlungsmoral der Haushalte - die Angaben stammen von Creditreform, einem Verband, in dem so gut wie alle Warenhäuser und Handelsketten Deutschlands Informationen über kreditwürdige Kunden und Zahlungsmuffel austauschen.

All das kann man für einen Skandal halten, und im Geo-Scoring, das jedem Haus ein Risiko für Zahlungsausfall zuordnet, geht das Geomarketing zu weit. Aus Sicht des Handels ist es freilich nur konsequent, immer tiefer ins Reich der Konsumenten zu zoomen, solange das rechtlich zulässig ist. Fragwürdig aber ist der Verkauf von Informationen, die per Gesetz oder mit öffentlichen Geldern erhoben werden:

- Das Kraftfahrtbundesamt bietet »mikrogeografische Auswertungen« seines Fahrzeugregisters »gegen Kostenerstattung«. Dabei werden jeweils rund 20 Haushalte zusammengefasst, über die das KBA verrät, welche Automarken sie fahren, wie viele Neu- und Gebrauchtwagen vorhanden sind und wie viel PS die haben. Dank KBA wissen wir, dass Frau Merkels Umgebung Roadster, Van und Cabrio fährt, bei Pkw-Leistung erreicht das Haus der Bundeskanzlerin 6 von 9 Punkten. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar kritisiert die Geschäfte des KBA. »Ich finde es problematisch, wenn Behörden aus fiskalischen Gründen Daten liefern, die für das Scoring herangezogen werden.«

- Die Landesvermessungsämter verkaufen für jedes Haus in Deutschland die Koordinaten bis auf den Zentimeter genau. Anfang 2006 traten als letzte Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen der Gemeinschaft zur Verbreitung der Hauskoordinaten (GVHK) bei. Seitdem koordiniert das Landesvermessungsamt Nordrhein-Westfalen den Daten-Deal. Die GPS-Daten für alle Häuser in Deutschland - die Basis des Geomarketings - kommen auf zwei DVDs und kosten 140 000 Euro, je nach Anwendung noch mehr. »Das Geschäft läuft ganz gut an«, sagt Karin Landsberg vom Landesvermessungsamt NRW. Kunden sind Versicherungen, die die Höhenangaben zur Abschätzung von Hochwasserschäden nutzen, und die so genannten Datenveredler.

- Die Deutsche Post ist zwar kein Staatsbetrieb mehr, aber einer der besten Adresslieferanten. Sie vermietet ihre Datenbank mit 36 Millionen Privatadressen gegen Lizenzgebühr, zum Beispiel an Microm. Die Post selbst bietet Kundenanalysen für Werbemailings an: Hat ein Baumarkt Rasenmäher im Sonderangebot, kann er sich die Adressen aller Einfamilienhäuser mit Garten in einem Umkreis von 20 Kilometern filtern lassen - eine solche Anwendung findet allerdings auch der Bundesdatenschutzbeauftragte unproblematisch.

Früher ähnelte Deutschland aus der Sicht von Marketingmenschen einem impressionistischen Gemälde mit verschwommenen Konturen. Man wusste, dass die Ostdeutschen weniger verdienen als die Westdeutschen, dass es Familien in die Speckgürtel der Städte zieht und dass die Leute auf dem Land mehr Geld für Gartenpflanzen ausgeben als die Städter. Heute gleicht Deutschland einem 50-Megapixel-Digitalfoto. Jedes Pixel ein Haushalt, jeder Haushalt eine Konsumzelle.

Kennen wir Angela Merkel jetzt besser? Wir kennen genug, um ihre Konsumzelle optimal mit Prospekten zu versorgen, und wissen auch, was für Geschäfte man dort am besten ansiedeln würde. Aber das Mietshaus am Kupfergraben 6 ist ein schwieriger Fall, denn in der Nachbarschaft der Bundeskanzlerin haben sich viele Beamte vom Bundeskriminalamt einquartiert, und die sind selbst von guten Datendetektiven nur schwer zu erfassen. Außerdem gibt es in der Gegend einige Büros, das erhöht die Fehlerquote der Statistik. Jedenfalls liegt die Geomarketing-Analyse in einem Punkt falsch. Für die Adresse Am Kupfergraben 6 verzeichnet die Software in digitaler Nüchternheit: »Unterschicht«.

Sagen Sie uns Ihre Meinung: Was halten Sie davon, wenn Marktforscher Ihr Kaufverhalten, ihre Krankheitsrisiken und ihre Zahlungsmoral in digitalen Landkarten sichtbar machen? Ist das sinnvoll, weil wir in Zukunft nur noch die Angebote bekommen, die uns interessieren? Oder fühlen Sie sich ausgehorcht und bespitzelt?

ZEIT Wissen 04/2006