10.9.14

Ein paar Anmerkungen zur aktuellen OECD Studie

Der Jahreskreis beinhaltet traditionell eine Reihe an Ritualen, deren mythologischer Hintergrund auch noch Erwachsene begeistern kann: Beispielsweise Ostern und die Auferstehung Christi. Oder die regelmäßigen Erscheinungstermine von OECD Bildungsstudien und dem Mythos der Vergleichbarkeit von Äpfeln mit Birnen. Auch diese Woche verzückte dieses säkulare Mysterium wieder die Medienlandschaft. Trotz aller Aura, ein paar Anmerkungen dazu.

Soziale Ungleichheit

Es ist eines der bittersten Erkenntnisse des österreichischen Bildungssystems, wie ungerecht unsere Schulen trotz allen gesellschaftlichen Reichtums sind. Wobei, gerade bei all diesem Reichtum gilt es zu relativieren: Wo viel ist, sind auch viele Pfründe zu verteidigen. Dazu gilt es zwei – oft vernachlässigte – Perspektiven mitzudenken.

Zuerst: Wenn das Schulsystem so stark hierarchisch und sozial selektiv ist, wie das österreichische, erwarten die ProfiteurInnen des Systems bei einer Neugestaltung selbstverständlich Einbußen ihrer privilegierten Position. Gleichzeitig sind es gerade die LehrerInnen und Eltern der Gymnasien, die den Diskurs, kraft ihrer sozialen Position, bestimmen.

Dazu kommt, dass es dem Schulsystem sehr gut gelingt den VerliererInnen des jetzigen Systems zu vermitteln, ihr schulisches Scheitern sei ihr eigenes Versagen und nicht – wie es die Bildungsforschung seit langem weiß – auf die sozial ungleichen Strukturen zurückzuführen.

Diese ungleichen Strukturen erklären jedoch noch nicht, weshalb es Mädchen trotz höherer Bildungsabschlüsse nicht gelingt, diesen Vorsprung als Frauen am Arbeitsmarkt oder in anderen Bereichen, umzusetzen. Hier müsste der Blick vom Bildungssystem, dass zu diesem Thema in den letzten Jahren einen großen Schritt weitergekommen ist, auf den Arbeitsmarkt und alltägliche Gerechtigkeitsfragen gelenkt werden. Wenn Frauen trotz gleicher Tätigkeit und Qualifikation weniger als Männer verdienen und in ihrem Karrierefortschritt eingeschränkt sind, kann man das den Schulen und Universitäten nur schwer vorwerfen.

Notwendig wäre es aber auch, intersektional zu denken und sich zu überlegen, welche Frauen, mit welchem sozialen und regionalen Hintergrund, haben, mit welchen Ungleichheiten zu kämpfen. Immer noch beschränken sich viele gutgemeinte Kommentare auf „die“ Frauen, „die“ MigrantInnen, „die“ Armen“, „die ArbeiterInnen“ usw. ohne die wechselseitigen Verschränkungen mitzudenken. Dadurch geraten diese Argumentationsmuster in die Defensive, wenn die Gegenseite Beispiele von Menschen bringt die es „geschafft“ hätten, obwohl „Frau“, „arm“, „Migrationshintergrund“.

Mit Statistiken lässt sich viel tricksen, sie können jedoch auch helfen unseren Blick von der unmittelbaren Lebenswelt – die uns in unserer Meinung immer zu bestätigen scheint – zu entfernen, um größere Zusammenhänge sehen zu können.

Das Gegenteil von Gut ist gut Gemeint

JedeR, der/die schon einmal internationale Vergleiche im Bildungsbereich versucht hat, kann von der Schwierigkeit dieses Unterfangens Zeugnis ablegen. Äpfel und Birnen sind näher verwandt, als so manches Schulsystem und unterschiedliche Unterrichtskulturen. Bestes Beispiel für dieses nahezu aussichtslose Unterfangen ist die International Standard Classification of Education der Unesco (ISCED), quasi das Vergleichskriterium der Schulsysteme.

In Österreich werden dabei AHS Oberstufe, Polytechnische Schule, Lehre und Berufsbildende Mittlere Schule in die Kategorie 3 zusammengefasst, die Berufsbildenden Höheren Schulen sind Kategorie 4, die Werkmeisterschulen gemeinsam mit Universitäten, Fachhochschulen und Akademien Kategorie 5. Jede/r der/die das österreichische Schulsystem etwas kennt, wird bemerken, dass diese Einteilung nur sehr bedingt nützlich ist, um Unterschiede herauszuarbeiten.

Ähnlich verhält es sich mit der AkademikerInnenquote. Wie Michael Hartmann vor einigen Jahren in einem Beitrag im „Leviathan“ (Hartmann, Michael: Studiengebühren und Hochschulzugang: Vorbild USA? Leviathan, 33, Heft 4/2005, 439-463) sehr anschaulich und detailliert ausgearbeitet hat, lassen sich auch in diesem Bereich Äpfel nicht mit Birnen vergleichen.
So gibt es in den USA Kurzstudien, die in der Klassifikation als akademisch gelten, hierzulande jedoch von ihrer inhaltlichen Tiefe maximal dem BHS-Abschluss entsprechen.

Aus diesen Gründen ist Österreich auf mysteriöse Weise immer „Verlierer“ bei der AkademikerInnenquote, aber Spitzenreiter bei den Abschlüssen auf Maturaniveau. Aufgrund der sehr arbeitsmarktnahen Ausbildung im Lehr- und berufsbildenden Schulsektor ist man hierzulande auch immer Voreiterland in Sachen Jugendarbeitslosigkeit. Dazu kommt, dass die Arbeitsmarkt- und Einkommenschancen mit BHS-Abschlüssen oftmals besser sind als nach so manchem Studium. Es wäre daher, rein ökonomisch betrachtet, absurd, sich auf das Abenteuer Studium einzulassen.

Das Problem im österreichischen Schulsystem ist also tatsächlich nicht die Nähe zum Arbeitsmarkt, sondern die Vermittlung allgemeinbildender Kompetenzen und von politischer Bildung - dazu aber ein anderes Mal mehr...

Dr. Schleicher: Oder wie ich lernte die Studiengebühren zu lieben 

Angesichts der wirtschaftsnahen Ausrichtung der OECD müsste das in Paris eigentlich ein Grund zur Freude sein. Doch Andreas Schleicher, Leiter des Bildungsdirektorats, sieht das anders.
Sein Argument, immer noch rein ökonomisch, sind die hohen Bildungsrenditen von AkademikerInnen. Immerhin verdient der Staat mit jedem Universitätsabsolventen 100.000 Euro an höheren Steuern und Sozialausgaben (in: Standard, 10. September 2014).

Es ist eine Binsenweisheit, dass dieser Mehrwert mit steigender AkademikerInnenquote und damit eingehender Titelinflation verringern wird. Titelinflation meint, wenn mehr Menschen höhere Abschlüsse haben, der Bedarf an höheren Qualifikationen jedoch nicht gleichwertig steigt (wie es die EU Arbeitskräfteerhebung labour force survey regelmäßig belegt), wird es am Arbeitsmarkt zu einer Verdrängung von niedriger qualifizierten bei gleichzeitigem Sinken der Gehälter von Höherqualifizierten kommen.

Es gibt eigentlich nur eine realistische Möglichkeit in diesem Fall den steuerlichen Mehrwert von öffentlichen Bildungsinvestitionen aufrechtzuerhalten, wie die OECD Education at a Glance Studie jedes Jahr deutlich zeigt:
Man erhöht den privaten Finanzierungsanteil durch Studiengebühren. Aus diesem Grund ist die öffentliche Rendite in den USA oder Großbritannien (bereits ohne Schottland) weitaus höher als in Österreich. Ganz einfach, weil die Studierenden kreditfinanziert bezahlen, wovon der Staat letztlich profitiert.
Die Einkommen und damit Steuerzahlungen etc. bleiben bei AkademikerInnen immer noch höher, gleichzeitig hat der Staat in den einzelnen Studierenden nur mehr sehr wenig investieren müssen. Das Risiko und die Kreditzinsen trägt der Studierende alleine. Eine Win-Win-Situation für kurzfristig denkende Neoliberale.

Ähnlich die Situation bei den Gesamtschulen. Aus der Sicht der Bildungsforschung sind solche Schulen schon längst überfällig. Wenn sich jedoch die OECD dafür stark macht, muss man sich überlegen, ob dahinter tatsächlich rein ethische Überlegungen stehen.
Andreas Schleicher hat sicherlich aufgrund seiner eigenen Biographie ein großes Interesse an Gesamtschulen (siehe u.a.). Nicht zu vernachlässigen ist jedoch auch der langfristige Effekt bei Einführung von Gesamtschulen und fehlenden flankierenden Maßnahmen.
So wie schon heute Gymnasialeltern für den Fortbestand des Bildungsvorsprungs ihrer Kinder kämpfen, werden finanziell und kulturell vermögende Eltern auch zukünftig weder Kosten noch Mühen scheuen, ihren Kindern einen Startvorteil zu ermöglichen. Daher differenzieren sich in Ländern mit Gesamtschulsektor auch elitäre Privatschulen heraus, die diesen Abstand nach unten versprechen. Letztlich bedeutet das aber aus borniert neoliberaler Betrachtung einen Ausbau des privaten Schulsektors, womit wir wieder bei den Kernaufgaben der OECD wären.

Was zu tun wäre

In einem Bereich gebe ich Schleicher jedoch völlig Recht:
„Auf die Lehrer kommt es an! Nicht die Klassengröße entscheidet über den Erfolg oder Nichterfolg von Schülerinnen und Schülern, sondern die Qualität des Unterrichts – und somit die Qualität der pädagogisch handelnden Personen. Die Qualifikation des Lehrers bzw. der Lehrerin ist DIE zentrale Größe im Bildungswesen.“ (in: Standard, 10. September 2014).

Wenn man sich überlegt, dass die Kernaufgabe der Schule die Entfaltung und Entwicklung von Menschen ist und dann vergleicht, wie innerhalb der Schule mit den einzelnen AkteurInnen, seien es SchülerInnen oder LehrerInnen umgegangen wird, muss man sich sehr wundern. Hier anzusetzen, traditionelle Hierarchien abzubauen, den Zugang zum Beruf zu öffnen, aber vor allem auch den LehrerInnen Selbstbewusstsein zu vermitteln, damit sie dieses später auch den Kindern weiterreichen können, wären tatsächlich sehr wichtige Hebelansätze.

Es gibt jedoch noch einen zentralen Punkt, der in der Diskussion völlig untergeht und auch im Bildungsbudget nur molekular vorkommt: Die Erwachsenenbildung.
Trotz aller Sonntagsreden zum Lebenslangen Lernen, wird dieser Sektor völlig vernachlässigt. Dabei ist es gerade dieser Ort, indem Menschen die Chance haben, soziale Ungerechtigkeiten aus der Zeit der Schule abzubauen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Was bleibt, und Ritualen immanent ist: Diesen Beitrag werde ich auch nächstes Jahr und übernächstes Jahr und darüber hinaus wieder so schreiben können. Denn Rituale basieren auf Beständigkeit und ihre Kraft liegt in der Wiederholung, wenn es nächsten September wieder heißt: die OECD veröffentlicht ihre diesjährige Bildungsstudie „Education at a Glance“ und kaum wo wird soziale Herkunft so stark vererbt, wie in Österreich.

13.12.11

Warum Studiengebühren?

Die Frage nach Sinn oder Unsinn von Studiengebühren lässt sich rein ökonomisch schnell beantworten. Wir wissen, dass sie nur einen Bruchteil des Universitätsbudgets ausmachen (rund 5% im Jahr 2007), wobei der bürokratische Aufwand einen großen Teil der Einnahmen verschlingt. Bekannt ist auch, dass der Lenkungseffekt von Studiengebühren im homöopathischen Bereich liegt: Auch zwischen 2001 und 2008 haben sich weitaus mehr Erstsemestrige für Geistes- und Sozialwissenschaften und gegen Technik und Naturwissenschaften entschieden (2007 im Verhältnis 2:1). Selbst diejenigen, die noch an den homo oeconomicus glauben, wissen, dass es aufgrund der arbeitsmarktnahen Berufsbildung in Österreich kaum ökonomische Anreize gibt, viel Geld und Opportunitätskosten in ein Hochschulstudium zu investieren, wenn man mit einem BHS- Abschluss bereits mit relativ gutem Gehalt in den Arbeitsmarkt einsteigen kann.

Was sind also die Gründe für Studiengebühren? Diese können wohl nur im Symbolischen gesehen werden. Sie sagen den Kindern aus NichtakademikerInnen-Familien: An der Universität habt ihr nichts verloren! Weil gegenwärtig immer mehr junge (und auch ältere) Menschen ein Studium an einer Universität oder Fachhochschule beginnen, kommt den TitelinhaberInnen das Grausen. Sie sehen ihre elitäre Position gefährdet, wenn die Exklusivität ihres akademischen Abschlusses durch „Titelinflation“ ins Wanken gerät.

Das ist ein bekanntes Spiel im Feld der Bildung und scheint immer mehr in Mode zu kommen: Bildungseinrichtungen nehmen wahr, dass sie ihr Prestige und damit ihren Wert im Markt der symbolischen Güter, dadurch steigern können, indem sie möglichst viele Menschen über strenge Auslese- oder Ausschluss-Verfahren fernhalten. Seit Pierre Bourdieu und Jerome Karabel ist bekannt, dass diese Verfahren sehr wenig über „Begabungen“, aber sehr viel über soziale Herkunft aussagen. Dennoch glauben diejenigen, die diese Barrieren überwinden konnten, sie seien ganz besonders begabt gewesen, während die Quantität der Gescheiterten den Mythos des besonders hohen Niveaus dieser Einrichtungen mitschreibt.

Und so wird seit Jahren nicht die katastrophal schlechte finanzielle Ausstattung von Lehre und Forschung kritisiert, sondern die Massen, die den elitären Ort der Universität „überschwemmen“. Im Zentrum steht nicht Wissenschaft als Zukunftsinvestition, sondern der akademische Titel als Aufrechterhalten des Status. Das wird augenfällig, wenn statt Begeisterung für das Lernen Verunsicherung mittels Eingangsphasen, Knock-Out-Prüfungen und verschulten Lehrplänen erzeugt wird. Aber auch dann, wenn nicht bestehende Einrichtungen ausgebaut, sondern Exzellenzeinrichtungen für einige wenige Auserwählte erfunden werden.

Hier liegt der tatsächliche Grund für die Debatte rund um Studiengebühren und für die Klage in einer „Theorie der Unbildung“.

31.3.11

Vom Bachelor zum Briefträger

Zwei Geschichten aus dem realexistierenden angloamerikanischen Bildungssystem.

Geschichte 2:

Das deutsche Magazin „Der Spiegel“ brachte am 26. März einen aufschlussreichen Bericht zur Situation von UniabsolventInnen in den USA. Auf der einen Seite steigen in den USA seit Jahren die Studiengebühren, und damit die Gesamtverschuldung von Studierenden und AbsolventInnen in einem ungeheuren Tempo. Andererseits bricht der Arbeitsmarkt für AkademikerInnen ein. Letztlich setzt dadurch wieder eine Titelinflation ein, die eine immer höhere Bildung für immer niedrigere Jobs verlangt.

Ein paar Zahlen aus dem Artikel zur Veranschaulichung: Mehr als 70 Prozent der Highschool-Abgänger entschieden sich 2009 für ein Studium. „Die Studienkosten an einer privaten Uni betragen mehr als 27.000 Dollar (fast 19.000 Euro) pro Jahr. Am öffentlichen College sind es 7600 Dollar jährlich. Und sie steigen weiter, 2010 um durchschnittlich 4,5 Prozent an privaten und acht Prozent an öffentlichen Unis. Besonders teuer sind begehrte Studiengänge wie Jura, selbst an einer mittelmäßigen Law School sind bis zu 43.000 Dollar im Jahr fällig. Dabei sind Eliteuniversitäten und ähnliches in dieser Rechnung noch gar nicht eingeflossen.“

Wie Michael Hartmann in einem spannenden Aufsatz im Leviathan schon vor einigen Jahren zeigte, sind dabei diese durchschnittlichen kurzen Studiengänge eher mit einem Kolleg oder einem BHS Abschluss zu vergleichen, als mit einem Studium an einer europäischen Universität. Die Institutionen, die mit hiesigen Universitäten vergleichbar, sind sehr wenige und verlangen dramatisch höhere Gebühren. (Hartmann, Michael (2005b): Studiengebühren und Hochschulzugang: Vorbild USA? In Leviathan, 33, 439-463.)

Zitat aus dem Spiegel: „Mit 4,8 Prozent liegt die [Arbeitslosen]Quote der Universitätsabsolventen in den Vereinigten Staaten deutlich unter dem nationalen Durchschnitt von 9,4 Prozent. In Deutschland ist das so ähnlich, hierzulande liegt die Akademikerarbeitslosigkeit seit Jahren konstant bei drei Prozent. Doch hier wie dort gilt auch: Viele Akademiker ergreifen Berufe, für die sie überqualifiziert sind. "Heute haben zum Beispiel zwölf Prozent unserer Postboten einen Bachelor. In den siebziger Jahren dagegen waren es nur drei Prozent", sagt Wirtschaftsprofessor Richard Vedder von der Universität in Ohio und ergänzt: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Ausliefern der Post heute so viel komplizierter geworden ist als noch vor 40 Jahren." (…). Laut Vedder haben momentan 17 Millionen Akademiker Jobs, für die eigentlich kein Studium notwendig wäre. Etwa 13 Prozent der Kellner haben studiert, ebenso fast 17 Prozent in Vorzimmern und Sekretariaten und acht Prozent der Elektriker.

Damit steigen auch die Erwartungen der Arbeitgeber: "Sie verlangen nun häufig akademische Abschlüsse für Berufe, bei denen ein Studium wirklich nicht notwendig ist", sagt Christopher Matgouranis vom Center for College Affordability and Productivity, einer Organisation, die sich mit den Studienbedingungen beschäftigt.“

Quellen:

Sonja Salzburger: Jobkrise in den USA. Vom Bachelor zum Briefträger. 26. März 2011.

Hartmann, Michael (2005b): Studiengebühren und Hochschulzugang: Vorbild USA? In Leviathan, 33, 439-463.)

Britischer Studiengebührenalbtraum

Zwei Geschichten aus dem realexistierenden angloamerikanischen Bildungssystem.

Geschichte 1:

Bekanntlich hat die britische Regierung im November 2010 beschlossen, dass englische Universitäten künftig bis zu 9.000 Pfund (EUR 10.200) an jährlichen Studiengebühren einnehmen können. Die Höhe soll sich entsprechend nach den Marktgesetzen richten, wer mehr bietet, hat mehr Nachfrage und kann daher für das Angebot auch mehr verlangen. So die ökonomistische Logik. Nun zeigt sich, dass nicht nur Oxford und Cambridge dieses Angebot sofort dankend annahmen. Mittlerweile erhöhen auch kleinere, weniger bekannte Universitäten, wie Durham und Exeter, die Studiengebühren auf 9.000 Pfund.

Der Grund liegt in einer Reihe von Nebenerscheinungen des Gesetzes: So fließen die Studiengebühren nicht in die Verbesserung von Forschung und Lehre, sondern ersetzen in erster Linie staatliche Bildungszuschüsse, die im Umfang von 940 Millionen Pfund (1,07 Milliarden Euro) gekürzt wurden. Die Reformen basierten auf den Empfehlungen eines Komitees unter Leitung des British Petrol Chefs Lord Browne. Nach deren Empfehlungen sollte die öffentliche Förderung geisteswissenschaftlicher Fächer, die keinen wirtschaftlichen Nutzen versprechen, ganz eingestellt werden. Auf das Komitee unter Lord Browne, der die Gebührenobergrenze überhaupt abschaffen wollte, geht auch der Glaube an einen selbstregulierenden Gebühren-Markt zurück.

Noch ein Aspekt bewegt die Universitäten auf die Einhebung der höchstmöglichen Gebührensätze. Studierende in England nehmen zumeist ein Darlehen auf um die Kosten von 36.000 Pfund (EUR 41.000)für einen vierjährigen Undergraduate Abschluss aufzubringen. Das staatliche Darlehensystem verlangt eine Rückzahlung erst dann, wenn die AbsolventInnen ein jährliches Arbeitseinkommen von 21.000 Pfund (EUR 24.000) erreichen. Dann zahlen sie neun Prozent ihres Einkommens über einen Zeitraum von 30 Jahren ab. Wenn nach dieser Zeit weitere Schulden überbleiben, werden diese vom Staat getilgt. Demzufolge ist es für die Universitäten immer am lukrativsten, wenn die Schuldenstände ihrer Studierenden möglichst hoch sind, denn nach 30 Jahren erhalten sie in jedem Fall das Geld von den AbsolventInnen oder den SteuerzahlerInnen.

Das Ergebnis: eine loose-loose-loose Situation: Die Universitäten verlieren staatliche Förderungen und erhalten diese erst nach Jahrzehnten ausbezahlt. Der Staat übernimmt die Schulden der zahlreichen AbsolventInnen, die nicht so viel verdienen, als ihr Studium kostete. Schließlich Studierende und AbsolventInnen, die mehr als ein Drittel ihres Lebens hoch verschuldet sind. marvellous.

Datenquelle : Alexander Menden. Die sind doch nicht Harrods! In Süddeutsche Zeitung, 19. März 2011, S.13.

1.3.11

Zum Thema soziale Bildungsreproduktion in Österreich


16.12.10

Über den angeblichen Zusammenhang von Bildung und Migrationshintergrund

Häufig liest und hört man die Alltagsweisheit, es gebe einen engen Zusammenhang zwischen Migration und niedrigen Bildungsabschlüssen. Trotz der vielen Statistiken und Zahlenreihen, die zur Begründung herangezogen werden, handelt es sich dabei jedoch um eine sehr eingeschränkte Betrachtungsweise. Wie erklärt sich beispielsweise die hohe Zahl an persischstämmigen Personen in der prestigeträchtigsten Berufsgruppe Österreichs, den MedizinerInnen? Tatsache ist, einige MigrantInnengruppen sind dem österreichischen Durchschnitt in Bildungsabschlüssen hoch überlegen. Wichtig ist, wie in der gesamten Integrationsdebatte, ein differenzierter Blick. So macht es einen großen Unterschied, aus welchen Gründen Menschen nach Österreich gekommen sind. Viele politische Flüchtlinge sind hochqualifiziert, auch wenn sie ihr Potential hierzulande vielleicht in den Direktverkauf von Rosen und Zeitungen stecken müssen. Andere Personen, meist aus hochindustrialisierten Ländern, wurden gezielt aufgrund ihrer hohen Bildungsabschlüsse und Erfahrungen angeworben oder vertreten ihre Länder in internationalen Vertretungen. Wie wenig dies im öffentlichen Bewusstsein verankert ist, zeigt ein Beispiel von vor einigen Jahren: Damals maßregelte die Wiener Fremdenpolizei ausländische UNO-JournalistInnen wegen derer mangelnden, und in ihren Job auch nicht notwendigen, Deutschkenntnisse. Schließlich gibt es die Arbeitsmigration, sowohl derjenigen, die wir geworben haben, als auch derjenigen, die aufgrund ihrer wichtigen Funktion für das Wirtschafts-, Gesundheits- und Sozialsystem eigentlich angeworben werden müssten. Personen, die nach Österreich kommen, um einfache Tätigkeiten zu verrichten, sind demzufolge häufig, aber natürlich nicht immer höher qualifiziert als ihre inländischen ArbeitskollegInnen. Daraus jedoch eine mangelnde Bildungsaspiration aller MigrantInnen abzuleiten, erscheint gewagt.

Die Frage bleibt: Ist es wirklich so, dass soziale schwache oder nichtprivilegierte Familien „auf Bildung nicht so viel wert legen“ wie „rau“ am 15.10 formuliert? Dahinter steht ein Argument, das Ralph Darendorf 1964 in seinem Vortrag „Arbeiterkinder an deutschen Universitäten“ dargelegt hat. Darin spricht er von der „Bildungsfeindlichkeit der Arbeiterfamilien“ und der „Arbeiterfeindlichkeit der Bildungseinrichtungen“ und zeigt damit interessante Auswirkungen auf. Der wichtige Blick auf die Ursachen lässt sich gut mit aktuelleren Forschungen schärfen. So wissen wir aus einer Schweizer Studie von Rahel Jünger (2010), dass Kinder aus nichtprivilegierten Familien der Bildung eine außerordentlich hohe Bedeutung zumessen. Vor allem aus Angst vor einem weiteren sozialen Abstieg erscheint ihnen Schulbildung als existenzielle Frage. Dabei dominiert jedoch ein ohnmächtiger Blick auf die schulischen Prozesse und Handlungen: Scheitern wird als persönliches Versagen erlebt („zuwenig angestrengt“) und selten als institutionelles Versagen. Lerninhalte erscheinen fremd und nicht wirklichkeitsbezogen, werden aber kaum in Frage gestellt. Gelernt wird funktional, um es „später einmal besser zu haben“, aber nicht aus Spaß am Lernen. Die Kinder erzählen, dass sie unter enormen Druck stehen. Gleichzeitig erhalten sie aber nur wenig Unterstützung. Ihre Eltern scheinen überfordert. Zusätzlich bieten die Schulen, die sie besuchen, weniger Möglichkeiten für zusätzliche Lernangebote und –anreize als Schulen von sozial bessergestellten SchülerInnen.

Dazu kommt, dass unser Bildungssystem die Leistungen von nichtprivilegierten Kindern weniger hoch schätzt als die von anderen Kindern. So wissen wir aus den Daten der PIRLS-Untersuchung, dass Kinder selbst bei gleichen Leistungen nach sozialer Herkunft ungleich benotet werden. Selbst bei identen Noten gehen AkademikerInnenkinder bei einem „Sehr gut“ in Deutsch und Mathematik in der vierten Klasse Volksschule mit einer Wahrscheinlichkeit von über 80% in eine AHS, Kinder von Eltern mit maximal Pflichtschule mit rund 50%. Eine deutsche Studie zeigt einen möglichen Grund dafür: So gaben PflichtschullehrerInnen an, sie würden nichtprivilegierte Kinder trotz sehr guter Schulleistungen seltener für das Gymnasium empfehlen, weil sie befürchten, dass die Kinder dort aufgrund der sozial ungleichen Gegebenheiten eher scheitern könnten als in Haupt- oder Realschule. Wen wundert da noch eine gewisse Skepsis gegenüber den Bildungseinrichtungen? Wenn nun eine Distanz zur Schule entsteht, ist es die Mischung aus diesen eigenen Erfahrungen und den mangelnden oder schlechten Schulerfahrungen ihrer Eltern.

Spricht man über Bildung, sollte die Diskussion weggehen von den stereotypen Bildern MigrantInnen versus „Eingeborene“. Wichtig wäre, sich die sozial unterschiedlichen Bildungssituationen vom Kindergarten über Schule, Universität, Weiterbildung bis zur Seniorenbildung anzusehen. Im Idealfall sollten die gewonnen wissenschaftlichen Erkenntnisse, einige sind mittlerweile über 50 Jahre alt, eines Tages auch in das Bildungssystem einfließen.

15.12.10

Früh übt sich?

Ein Beitrag von mir aus babylog.at, hier noch einmal dokumentiert.

Das Leben zwischen Geburt und Burn-Out. Das Geschäft mit der Angst vor dem sozialen Abstieg

Von Ingolf Erler

`Ich werde halt auch schauen – es ist echt hart, dass ich das über die Lippen krieg, aber es ist so – dass der Anteil der nichtdeutschsprechenden Schüler so gering wie möglich ist. Das macht jeder, wenn man ehrlich ist.´

Musiker I-Wolf über seine Auswahlkriterien für die Schule seines Kindes (derstandard.at)

Und das stimmt. Auch die glühendsten Fürsprecher von Chancengleichheit, möchten den eigenen Kindern dann doch ein bisschen mehr Chancen bieten als österreichische Durchschnittskinder erhalten. Um einer öffentlichen Volksschule und deren sozialer Durchmischung zu entgehen, werden manche Kinder sogar bei den Großeltern gemeldet um dadurch in einem anderen Sprengel registriert zu werden. Andere Eltern nehmen überlange Anfahrtswege in Kauf oder sind bereit, hohe monatliche Beiträge zu zahlen, damit der Nachwuchs in einer privaten Schule unterrichtet werden kann. Und solche Schulen wachsen mittlerweile wie Pilze aus dem Boden: Unternehmen, deren Geschäft es ist, Schulen zu betreiben, die Kinder möglichst früh für die Konkurrenzgesellschaft konditionieren sollen. Ihr Erfolg beruht auf den Ängsten von Eltern vor dem sozialen Abstieg.

Spiel nicht mit den Schmuddelkindern

Wer einen Bildungsvorsprung hat, wünscht ihn auch seinen Kindern. Die Angst sitzt tief: KlassenkollegInnen, die aus den `bildungsfernen Schichten´, könnten ja das eigene Kind mit `runterziehen´. Davon dass Kinder auch sehr davon profitieren, mit Kindern aus anderen sozialen Schichten befreundet zu sein, ist keine Rede. Man will den eigenen Vorsprung absichern – und das mittels relativ eindimensionaler Strategien.

Eine erfolgreiche Methodik den eigenen Vorsprung abzusichern, besteht in einer noch deutlicher gemachten Distinktion, Abgrenzung nach unten. Distinktionsstrategien zwischen den gesellschaftlichen Klassen finden wir in allen Bereichen unseres Alltags. Grob vereinfacht gesagt, bemühen sich diejenigen die oben sind darum, oben zu bleiben, diejenigen in der Mitte bemühen sich um sozialen Aufstieg und am unteren Rand finden wir die Deprivierten, die sich darum kümmern müssen, überhaupt über die Runden zu kommen. In einfachen Worten: Wer eine privilegierte Stelle in unserer Gesellschaft erreicht hat, wird sich darum bemühen den eigenen Kindern eine ebenso privilegierte Stelle abzusichern.

Bislang funktionierte das in unserem Bildungssystem hervorragend: die am obersten Rand der sozialen Hierarchie Stehenden schickten ihre Kinder in besonders elitäre, meist konfessionelle, Elitegymnasien. Die darunter befindliche bürgerliche Mittelschicht strebte ins Gymnasium. Die noch darunter befindlichen sozialen Gruppen kamen in die Hauptschule. Wer sich schließlich am wenigsten wehren konnte, musste sich mit der Sonderschule begnügen. Um nicht missverständlich zu sein: die hier beschriebene Hierarchie hat nichts mit der Qualität der Schulen selbst zu tun. Oftmals finden wir die engagiertesten LehrerInnen in den Haupt- und Sonderschulen. Der Bildungsweg hat jedoch eine eindeutige Konsequenz in der Außenwirkung, am Image, am Arbeitsmarkt, bei den Zukunftschancen.

Flucht aus dem öffentlichen Schulwesen

Die Angst des sozialen Abstiegs der Kinder, alleine aufgrund der Tatsache, dass es in eine öffentliche Schule geht, führt zu einer massiven Flucht ins private Schulwesen. Welche Dimension das bereits angenommen hat, zeigen die statistischen Zahlen: Mittlerweile besucht fast jede/jeder zehnte österreichische SchülerIn (8,9%) eine Privatschule. Während das öffentliche Schulsystem zwischen 1996/97 und 2006/07 um 0,75% gewachsen ist, stieg die Zahl an PrivatschülerInnen um 15,3%.

Dabei liegt Österreich im europaweiten wie im OECD-Vergleich noch unter dem Durchschnitt. Die Zahl an PrivatschülerInnen liegt beispielsweise in Spanien bei 31,3%, auf Malta bei 31,9% und in Großbritannien bei 41,1%.

Finden Eltern kein privates Angebot vor Ort vor, kann es durchaus vorkommen, dass sie auch rechtliche Grauzonen in Kauf nehmen:

14 Jahre lang haben Eltern in Bremen mit Tricks eine illegale Grundschule betrieben. Unter den Eltern sollen auch Lehrer staatlicher Schulen gewesen sein, die ihre Kinder lieber in die eigene illegale Schule schickten. (…) Die Eltern, die meisten von ihnen Akademiker, hatten sich zusammengetan und insgesamt über 250 Kinder selbst unterrichtet oder unterrichten lassen. (…) Das Ostertor-Viertel, in dem sich die Schule befand, gilt als alternativ, aber bürgerlich. Der Ausländeranteil ist gering, der Anteil an Akademikern und Grünen-Wählern hoch. Bei der Aktuellen Stunde im Parlament am Dienstag warf die Bildungssenatorin Jürgens-Pieper den Eltern daher vor, einem „elitären Anspruch der Entmischung“ anzuhängen. Der damit angedeutete Vorwurf, die Eltern hätten ihre Kinder nicht in schlechtere staatliche Schulen mit hohem Ausländeranteil schicken wollen, weisen die eher linksliberalen Eltern zurück. Matthias K. und seine Freundin haben die beiden Töchter insgesamt fünf Jahre auf die illegale Schule geschickt. „Wir selbst haben nicht so gute Erfahrungen mit staatlichen Schulen gemacht. Für unsere Kinder wollten wir etwas anderes.“ 180 Euro pro Kind sei ihnen das im Monat wert gewesen.“

Elitäre Privatschulen sind oft finanziell besser gestellt. Das lässt sich einfach vorstellen, bedenkt man beispielsweise dass das deutsche Luxusinternat Salem den Eltern pro Jahr € 28.000 kostet. Dazu kommen staatliche Zuschüsse, meist in Höhe des Betrags die der Staat rechnerisch einspart, wen das Kind den Unterricht nicht in einer staatlichen Schule in Anspruch nimmt. Schließlich können die Eltern in Deutschland wiederum 30% des Schulgelds als Sonderausgaben steuermindernd geltend machen.

Und viele dieser Privatschulen sind, und das ist im humanistisch geprägten Bildungssektor des deutschsprachigen Raums eher neu, gewinnorientierte Geschäftsmodelle im Gegensatz zu früheren gemeinwohlorientierten Privatschulen, wie Aktiengesellschaften oder Franchise-Ketten.

Alte und neue Elitenreproduktionstätten

Anfangs waren Bildungseinrichtungen überhaupt Einrichtungen für Kirche und Adel. Bekannt sind beispielsweise in Wien das Schottengymnasium auf der Freyung, das Theresianum in der Favoritenstraße oder das Lycée Francais in der Liechtensteinstraße. In einem Artikel des Magazins Datum wurde die soziale Durchmischung dieser Schulen einmal folgendermaßen beschrieben: „Obwohl alle diese Schulen theoretisch für jedermann zugänglich sind, bilden jene Schüler, die aus einkommensschwachen Familien stammen, de facto die Ausnahme von der Regel.“

Eine neue Internatsschulen, wie man sie eher in der Schweiz oder im Schwarzwald vermutet, wurde im vergangenen Herbst im Salzkammergut eröffnet: Auf der „internationalen Schule“ in St. Gilgen (Flachgau) sind 35 SchülerInnen eingeschrieben. Das Schulgeld beträgt im ersten Jahr 37.500 Euro, später 40.000 Euro/Jahr. Die in einem ehemaligen Altersheim befindliche Schule hatte mit massiven Gegenwind der Bevölkerung zu kämpfen. Um die Gemüter zu beruhigen werden drei Vollstipendien nach St. Gilgen und zwei in die Wolfgangsee-Region vergeben.

Im internationalen Vergleich liegt Österreich – noch – zurück. Ganz anders in Großbritannien mit seiner Tradition von Public Schools sowie den beiden Eliteuniversitäten Oxford und Cambridge, auch Oxbridge genannt. In Großbritannien gehen 41,1% der SchülerInnen in private Schulen. Eigene Kindergärten in London sind schon spezialisiert auf die Vorbereitung für den Weg nach Oxford. Die deutlichste soziale Reproduktion über das Bildungssystem findet sich noch immer in Frankreich. In Paris ist ein Drittel aller Schüler ab der sechsten Klasse in einer Privatschule. In ganz Frankreich sind es 21%, bei weitaus mehr AnwärterInnen: So mussten die katholischen Privatschulen Frankreichs 2006 25.000 Anträge abweisen.

Stark aufgeholt wird gerade in Deutschland, das dem österreichischen Bildungssystem ansonsten vor allem hinsichtlich seiner mangelnden Veränderungswilligkeit nahe steht. 2008 besuchte jeder Zehnte eine Privatschule – Tendenz steigend. Auch die aufgestiegene türkische Mittelschicht betreibt bereits ihre eigenen Schulen um sich von der Masse abzuheben.

Überholspurkinder

‘Früh übt sich’, sagt der Volksmund. Was das bedeuten kann, zeigt eine private Sprachschul-Kette, die Englischkurse für Kinder ab drei Monaten anbietet. Das Modell nennt sich „Helen Doron Early English“ mit dem Motto „ Baby’s Best Start“ und eröffnet alle zwei Wochen eine neue Filiale in Deutschland. Die private Lipschule in Zürich bietet Chinesisch Kurse ab drei Jahren an, das Münchner „China Coaching Center“ ab vier Jahren.

Solche Angebote sind ein gutes Geschäft und versprechen auch für die Zukunft hohe Gewinne. So versteht sich auch der Erfolg der 1998 in den USA gegründeten Bildungskette „FastTracKids“, die als Franchiseunternehmen heute in 40 Ländern vertreten ist. Die so genannten „Überholspurkinder“ sind zwischen zwei und neun Jahren und lernen vor einer Tafel mit eingebautem Lautsprecher durch eine Computerstimme die Fächer Astronomie, Biologie, Kommunikation, Literatur, Geografie und Geologie, Ökonomie, Ziele und Lebensstrategien (sic!), Mathematik, Naturwissenschaft, Rhetorik, Theater und Kunst sowie Technologie. Unterrichtssprachen sind in Deutschland Deutsch, Englisch und Französisch. Welche Ideologie dahintersteht zeigt ein Werbevideo:

http://www.youtube.com/watch?v=gyGhCteWUXk&feature=player_embedded#

Es geht um die Befriedigung der Eltern, ihr Kind stärker als andere gefördert, oder besser ‘gefordert’ zu haben, um später erfolgreich zu sein. FastTracKids glaubt einen „Wissensvorsprung für die gesamte spätere Schullaufbahn“ anbieten zu können. Das sollte Eltern dann pro zwei Stunden in der Woche monatlich € 120 Wert sein. Dazu wird die Angst geschürt, dass das eigene Kind ein Verlierer wird, wenn es nicht rechtzeitig zum Erfolg gedrillt wird. Es ist ein „Wettrüsten um den beeindruckendsten Kleinkindlebenslauf“

Ebenfalls ein Franchisesystem ist die japanische Kumon-Kette, die auch in Wien eine Filiale unterhält. Hier pauken Vorschulkinder bei laufender Stoppuhr Mathematik. Das sei wichtig für das Leben zwischen Geburt und Burn-Out, denn „anhand der Zeit, die ein Kind zur Lösung einer bestimmten Anzahl von Rechenaufgaben braucht, stellen wir fest, ob es den Lernstoff nicht nur verstanden hat, sondern auch mühelos anwenden kann. Erst wenn ein Kind sein aktuelles Lerngebiet wirklich mühelos beherrscht, wird es die nächst höhere Stufe mit demselben Erfolg in Angriff nehmen und Freude daran haben. Darüber hinaus lernt das Kind, souverän mit der Zeit umzugehen – auch das ist eine Vorbereitung auf das Leben“.

Gerne wird bei diesen Angeboten mit der besonders tollen Verknüpfungswilligkeit der Gehirnwindungen in diesem Alter argumentiert. Dabei wird jedoch Hirnforschung mit dem Nürnberger Trichter verwechselt. Kinder können zwar in diesem Alter leichter eine zweite Sprache erwerben, aber nur wenn diese Teil ihrer Alltagswelt ist. Der Neurobiologe Henning Scheuch vom Leibniz-Institut in Magdeburg bezeichnet daher Kurse, die sich didaktisch am Fremdsprachenunterreicht in der Schule orientieren als „fast zum Vergessen“ (Kramer 2008: 16). Die Gefahren benennt Wolfgang Bergmann, Leiter des Instituts für Kinderpsychologie und Lerntherapie in Hannover: „Es liegt auf der Hand, dass Eltern den Leistungsstress, unter dem sie stehen an die Kinder weitergeben“. Werde Kindern die Kindheit geraubt, macht sie das nicht unbedingt schlauer.

Auch wenn diese Angebote den Kindern im Vergleich zu den persönlichen Kosten nur wenig einbringen. In jedem Fall gewinnen die Anbieter: 40 Euro kostet ein Säuglings-Englischkurs im Monat, 120 Euro monatlich zahlen Eltern bei FastTracKids.

Konzerthallen, Kinder-Yoga und Bodygards – Was kostet die Welt?

Wer es noch etwas exklusiver möchte kann sein Kind schließlich noch in den neu gegründeten privaten Luxuskindergarten „Villa Ritz“ in Potsdam bei Berlin schicken. Wobei Luxus fast noch untertrieben ist: Auf 3000 Quadratmeter Grundstück tummeln sich maximal 50 Kinder. Für 980 Euro im Monat kümmert sich eine Erzieherin um maximal sechs Kinder. Kinder können bei Bedarf auch dort übernachten. Zusätzlich gebucht werden können Chauffeur, Bodyguard, Geigenunterricht oder Chinesischlehrer, Besuch des Wellnessbereichs, der Sauna, eigene MasseurInnen, PhysiotherapeutInnen, Yoga, Ballett, Meditation und einiges mehr. Fast könnte man meinen, das Angebot entspricht eher den Bedürfnissen der Eltern als der Kleinkinder. Ähnliche Kindergärten bietet auch der Konzern „Little Giants“ in Stuttgart, Frankfurt, München, Nürnberg, Leverkusen. Bei diesem Franchisesystem kostet der Platz 1000 Euro im Monat.

In den USA haben sich solche Elite-Kindergärten schon längst etabliert. Richtigerweise heißen diese auch nicht Kindergärten sondern Nursery Schools. Legendär ist die „Hebrew Association for Young Men and Young Women Nursery School“, kurz „Y“ in der Uper East Side von Manhattan. Für jährliche $14.000 können die auserwählten 175 Zwei- bis Vierjährigen zwischen Sportstudio, Konzerthalle, Restaurant, Bibliothek, Tanz-, Theater, Sprach-, Mal- oder Handwerkskursen auswählen. Die Gruppen zu zehn Kindern werden dabei von drei KindergärtnerInnen betreut. Aufgenommen werden jährlich nur 65 Kinder, die Anmeldelisten sind dagegen mindestens zehnmal so lang. Daher haben sich bereits einige Consultingfirmen, wie Ivy Wise, darauf spezialisiert die Eltern zu schulen, wie sie Ihre Kinder auf den besten Weg vom Elitekindergarten auf die Eliteuniversitäten der Ivy League bringen.

Andere behelfen sich mit weniger legalen Mitteln. So kam es Anfang des Jahrtausends zum Skandal rund um einen Börsenanalysten. Um seine Zwillinge ins Y zu geben bat er einen Bekannten aus der Chefetage der Telefongesellschaft AT&T um ein Empfehlungs-schreiben. Als Gegenleistung bewertete er die Aktien von AT&T etwas besser und spendete sicherheitshalber noch eine Million Dollar an das Y.

Eine Schule als Aktiengesellschaft: Die Phorms AG

Mittlerweile hat die Phorms AG, eine deutsche Schulkette, begonnen Fuß zu fassen: Investoren haben 11 Millionen Euro investiert um letztlich aus der Aktiengesellschaft hohe Renditen erhalten zu können. Für 140 bis 840 Euro im Monat bekommen die SchülerInnen bilingualen Unterricht von morgens bis abends, ohne Sitzenbleiben, geboten. Wie allen deutschen Privatschulen wird dem Konzern von öffentlicher Hand zusätzlich pro Schüler ungefähr der Betrag zugezahlt, der in einer öffentlichen Schule anfallen würde. Eine Praxis mit der die öffentliche Hand gute Lernbedingungen für bereits familiär privilegierte Schüler fördert, während an anderen Schulen das Geld fehlt. Bis zu 40 Filialschulen möchte die Phorms AG errichten. Dabei verfolgt sie auch ideologische Ziele, wie die Vorstandsvorsitzende Bea Beste gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schildert: „Deutschlands Rohstoffe sind die Gehirne der nächsten Generation. Vom Klammern kommt nichts. Wenn wir den War-of-Talents nicht annehmen, der weltweit tobt, haben wir global gesehen nicht mehr viel zu melden“.

Leistungsdruck statt Chancengleichheit

Abgesehen vom Leistungsdruck, der auf diesen Kindern lastet, hat der Prozess auch gesellschaftliche Konsequenzen, womit wir wieder zur Ausgangsfrage zurückkehren: Als Selektionsagentur verfestigt die Schule soziale Unterscheide. Offiziell haftet zwar dieser noch der meritokratische Mythos, das Bildungssystem würde jede/jeden in erster Linie nach ihrer/seiner Leistung bewerten, an. Insgeheim wissen wir jedoch alle, dass Schule in erster Linie diejenigen fördert, die mit Vorwissen und einer bildungsnahen Einstellung in die Schule eintreten.