3.3.08

Vorsprung durch Kinderkrippe

Süddeutsche Zeitung 3.3.2008: Bildungschancen

Der Besuch einer Krippe erhöht einer Studie zufolge die Bildungschancen eines Kindes deutlich. Etwa der Hälfte der Kinder, die eine Krippe besucht haben, gelingt später der Sprung auf das Gymnasium – von den Kindern ohne Krippenerfahrung schafft dies nur ein Drittel.

Von Felix Berth

Fragt man einen Kinderarzt der älteren Generation, ob er Krippen als Bildungsinstitutionen ansieht, wird die Antwort oft klar ausfallen: nein.

Denn aus Sicht der Mediziner ist die Krippe der Ort, an dem Kinder leicht krank werden: Schnupfen, Husten und Ohrenentzündungen verbreiten sich schnell, wenn Kleinkinder mit Triefnasen zusammentreffen. Außerdem, so die Ansicht älterer Pädiater, brauchen Kleinkinder ihre Mutter ständig, weshalb Fremdbetreuung nur ausnahmsweise akzeptabel sei.

Allerdings, die Einschätzungen wandeln sich. So hält der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte Krippen für sinnvoll, sofern sie genügend qualifiziertes Personal haben. "Im Umgang der Eltern mit ihren Kindern kommt es nicht in erster Linie auf Quantität, sondern auf Qualität an", sagt Verbandspräsident Wolfram Hartmann.

Zwei Stunden mit einer ausgeglichenen Mutter oder einem entspannten Vater seien für ein Kind wertvoller als zwölf Stunden mit einem frustrierten Elternteil. Krippen mit genügend qualifiziertem Personal können nach Hartmanns Einschätzung gerade benachteiligte Kinder unterstützen.

1000 Kinder erfasst

Dass Krippen Bildungsinstitutionen sind, betont auch eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, die an diesem Montag veröffentlicht wird. Demnach gelingt Kindern, die eine Krippe besucht haben, später deutlich häufiger der Sprung aufs Gymnasium als anderen Kindern.

Die Untersuchung, die die Stiftung beim Institut Bass in Bern in Auftrag gegeben hat, erfasst Bildungskarrieren von mehr als tausend repräsentativ ausgewählten Kindern, die zwischen 1990 und 1995 in Deutschland geboren wurden.
Es zeigt sich, dass von den Krippenkindern später genau die Hälfte den Übertritt auf ein Gymnasium schaffte; von den Nicht-Krippenkindern gelang dies nur etwas mehr als einem Drittel.

Noch deutlicher waren die Unterschiede, wenn die Eltern Migranten waren oder einen Hauptschulabschluss hatten. "Bildungschancen von Kindern aus benachteiligten Verhältnissen verbessern sich durch einen Krippenbesuch am stärksten", bilanzieren Anette Stein und Kathrin Bock-Famulla von der Bertelsmann-Stiftung.

Solche Erfolge verwundern angesichts der teilweise katastrophalen Personalschlüssel. Doch nach Bock-Famullas Ansicht können offenbar sogar schlecht ausgestattete Krippen für benachteiligte Kinder ein Gewinn sein.

Außerdem zeige die Statistik, dass manche Bundesländer ausreichend Personal einstellen. "Ich vermute, dass die Bildungserfolge noch größer wären, wenn wirklich alle Krippen mit ausreichend hoch qualifiziertem Personal arbeiten würden", sagt Bock-Famulla.

Die Studie versucht auch, den ökonomischen Nutzen von Krippen zu ermitteln. So liege das spätere Lebenseinkommen eines Gymnasiasten deutlich über dem eines schlechter Ausgebildeten. Steige durch den Krippenausbau die Zahl der Gymnasiasten, entstehe ein volkswirtschaftlicher Nutzen von fast 22.000 Euro pro Krippenkind.

Die Kosten eines Krippenplatzes von etwa 8000 Euro, die überwiegend der Staat trägt, würden dadurch leicht ausgeglichen, argumentiert die Studie. Jeder Euro, der in Kinderkrippen investiert werde, würde sich wegen der Schulerfolge der Kinder für die Volkswirtschaft jährlich mit mehr als sieben Prozent verzinsen.

(SZ vom 3. März 2008)